Roelcke, Thorsten. 1995.
Periodisierung der deutschen Sprachgeschichte. Analysen und Tabellen.
Berlin, New York: Walter de Gruyter. 494 S.
(Studia Linguistica Germanica, 40. Hrsg. von Stefan Sonderegger und Oskar
Reichmann).
ISBN 3-11-015075-1 (gebunden). DM 220,-.
reviewed by
Nils Langer
Department of German Studies, University of Newcastle upon Tyne, NE1 7RU
E-mail: nils.langer@ncl.ac.uk
[Download this Review (31K, Rich Text Format)]
Copyright Notice:
First published in Web Journal of Modern Language Linguistics in association
with the publishers (to be announced). © 1998 Nils Langer.
The moral rights of the author(s) to be identified as author(s) of this work
are asserted in accordance with §§.77 and 78 of the Copyright, Designs and
Patents Act 1988. This work may be reproduced without the consent of the
author, in part or in whole in any manner and in any medium subject only to the
two following conditions:
(a) no charge shall be made for the copy containing the work or the excerpt,
(b) a copy of this notice shall precede the work or the excerpt.
Einleitung
"Die Geschichte der Erforschung der deutschen Sprachgeschichte ist auch eine
Geschichte der Periodisierung der deutschen Sprachgeschichte." (S. 1). Mit
diesem Zitat eröffnet Roelcke seine Studie über die Periodisierung
der deutschen Sprachgeschichte, in der er die Komplexität und Vielfalt
der verschiedenen, in den Sprachgeschichten des Deutschen benutzten und
vielfach angefochtenen Kriterien aufzeigt. Auch nach über dreihundert
Jahren deutscher Sprachgeschichtsschreibung (beginnend mit Schottel 1663) sind
sich die Forscher keineswegs einig über Art und Anzahl der Kriterien,
über die zeitliche Einteilung des Deutschen und über die Bezeichnung
der verschiedenen Stufen: eine Uneinigkeit, die Roelcke als "ungeordnet"
bezeichnet und die seines Erachtens aufgeräumt werden sollte. Zu diesem
Zweck schlägt er in seiner Studie eine allgemeine Theorie der
Sprachperiodisierung vor, die als Grundlage für zukünftige
Periodisierungsversuche dienen kann, da sie es ermöglicht, den
verschiedenen Faktoren eine angemessene Gewichtung zu geben. Roelcke verzichtet
in seinem Buch auf einen eigenen konkreten Vorschlag zur Periodisierung des
Deutschen und beschränkt sich vielmehr darauf, nach der Vorstellung seiner
allgemeinen Theorie, alle wichtigen, bisher existierenden Vorschläge zur
Periodisierung der deutschen Sprache deskriptiv nebeneinanderzustellen.
Einteilung
Das Buch ist dementsprechend grob in zwei Teile geteilt. Im ersten Teil
führt Roelcke den Leser in das Thema ein (Einleitung, S. 1-3) und
stellt seine eigene, allgemeine Theorie zur Periodisierung vor
(Grundlagen, S. 5-40). Der zweite Teil besteht aus den im Titel
erwähnten Analysen und Tabellen zu den bisher existierenden
Periodisierungsvorschlägen des Deutschen. Hier gilt das Prinzip, dass
jedes Kapitel einen längeren Textteil enthält, der die relevanten
Zusammenhänge zum Thema aufbaut sowie in einer oder mehreren Tabellen
schließt, die einen guten Überblick über das Diskutierte
ermöglichen.
Zuerst wird erläutert, nach welchen Kriterien die behandelten
Periodisierungsvorschläge ausgewählt wurden, gefolgt von einer
Beschreibung dieser Vorschläge (Auswahl und Beschreibung, S.
41-138). Diese werden dann in den folgenden Kapiteln miteinander verglichen,
mit den Schwerpunkten Zeitvergleich (S. 139-192),
Bezeichnungsvergleich (S. 193-274) und letztlich - dies besonders
ausführlich - Kriterienvergleich (S. 275-478). Im
Schluß (S. 479-484) werden die Ergebnisse kurz zusammengefasst.
Den Abschluss bildet das Literaturverzeichnis (Literatur, S.
485-494).
Einführung
Die Einteilung des Deutschen in bestimmte, historische Stufen oder Perioden ist
und war Teil der deutschen Sprachgeschichtsschreibung schon seit Schottel 1663,
Adelung 1782 und Petersen 1787 (man vergleiche allerdings frühe
Gegenbeispiele, so z.B. Egenolff 1735). Die heute noch häufig gebrauchte
Bezeichnung und Einteilung in Althochdeutsch, Mittelhochdeutsch und
Neuhochdeutsch geht auf Grimm 1822 zurück, die Sprachstufe des
Frühneuhochdeutschen wurde von W. Scherer 1890 vorgeschlagen und hat sich
vor allem aufgrund der Arbeit von V. Moser (z.B. 1929) voll etabliert. Roelcke
beschränkt sich in seinem Buch auf die Untersuchung derjenigen
Sprachgeschichten, die als "wissenschaftlich bedeutsam" (S. 43) gelten, d.h.
solche Vorschläge, "welche im Bereich der germanistischen Forschung oder
im Bereich der germanistischen Lehre entweder als etabliert oder innovativ
anzusehen sind" (S.43). Weiterhin gilt, dass nur Vorschläge zum
Hochdeutschen berücksichtigt werden, und dann auch nur, wenn die
gesamte Sprachgeschichte Beachtung findet. Diese Beschränkungen
resultieren in einem Korpus von 43 Werken, die diachronisch eingeteilt sind in
Vorläufer (3), Vorbilder (4), Nachfolger (2), sowie politisch-geographisch
für die Zeit nach 1945: westliche Auslandsgermanistik (3),
westliche Inlandsgermanistik (18), östliche Inlandsgermanistik
(10) und östliche Auslandgermanistik (3). Die Zahlen in
Klammern beziehen sich auf die Anzahl der untersuchten Werke, und wobei hier
auffällt, dass die westliche Germanistik mit 21 Werken vertreten ist,
während die östliche Germanistik gerade 13 aufweist. Dies ist
besonders bemerkenswert, da die 10 Werke der östlichen Inlandsgermanistik
nur 3 Autoren repräsentieren (Bräuer, Schildt, Schmidt). Diese
Disparität, welche allein durch die Einteilung der Autoren nach
politisch-geographischer Herkunft auffällt, wird nicht von Roelcke nicht
als solche thematisiert und es bleibt daher die Frage, ob es irgendwelche
Gründe dafür gibt, dass im politischen Osten weitaus weniger
Sprachgeschichten geschrieben wurden, als im politischen Westen.
Grundsätzliches
Eine der hauptsächlichsten Kontroversen in der Periodisierungsdiskussion
betrifft den wissenschaftlichen Status von Sprachstufen. Hierbei geht es vor
allem um die Frage, ob Abschnitte in der Geschichte einer Sprache
überhaupt existieren oder ob solche Sprachstufen nur abstrakte Konstrukte
sind, die von SprachwissenschaftlerInnen aus spezifischen Gründen
vorgeschlagen werden, um z.B. eine bessere Orientierung in der Sprachgeschichte
zu ermöglichen. Die beiden sich gegenüberstehenden Positionen werden
exemplarisch repräsentiert von Joachim Schildt zum Einen, der die Ansicht
vertritt, dass "Perioden [...] tatsächlich innerhalb des
Wissenschaftsgegenstandes Sprache [existieren]" (Schildt 1982: 30) und Hugo
Moser zum Anderen, der einen Realitätsanspruch von Sprachperioden
zurückweist. Für ihn ist ein Sprachhistoriker "vor das Dilemma
gestellt, in das panta rhei der Entwicklung nachträglich Einschnitte legen
zu müssen, welche die lebendige geschichtliche Wirklichkeit nicht
aufweist" (Moser 1951: 296) [meine Hervorhebung, NL]. Roelcke klammert sich
für seine Zwecke aus dieser Diskussion weitgehend aus. Periodisierungen
seien, aus verschieden Gründen, wie unten gezeigt wird, nützlich
für die Germanistik; ob sie jedoch auch real existieren, müsse erst
noch durch eine neue, systematischere und kohärentere
Periodisierungsvorschlage gezeigt werden.
Ein zweiter Disput grundsätzlicher Natur betrifft die Art der Kriterien,
die zu einer Bestimmung von Sprachperioden herangezogen werden sollten.
Objartels (1980) leicht nachvollziehbare Definition einer Sprachperiode als
eine Stufe ohne bedeutende sprachliche Veränderungen lässt
außen vor, ob diese Veränderungen inner-, außer-, und / oder
metasprachlicher Art sein können oder müssen. Je nach Entscheidung
des jeweiligen Wissenschaftlers können sich so ganz verschiedene
Periodisierungsvorschläge ergeben. Diese Gefahr des sprachperiodischen
Durcheinanders findet sich in Roelckes Vergleich durchaus bestätigt, wobei
die meisten Sprachgeschichten Kriterien aller drei Arten heranziehen, wenn auch
mit unterschiedlicher Gewichtung. Im Gegensatz dazu beziehen manche Forscher
eine entschiedenere Position zugunsten einer Art von Kriterien, so z.B.
Oskar Reichmann, der die These verteidigt, dass "Epochen und Raumgrenzen"
abhängig von kulturellen (also außersprachlichen) Bedingungen zu
sehen sind (Reichmann 1992:196), wohingegen die Priorität von
innersprachlichen Kriterien durch Forscher wie z.B. Herbert Penzl attestiert
wird, der seine Position so formuliert: "'Innere' Sprachveränderungen
ergeben die überzeugendste Periodengrenze" (Penzl 1989:13).
Solch eindeutige Stellungnahmen sind jedoch selten. Roelcke zeigt anschaulich,
dass bei den meisten Periodisierungsvorschlägen eine Vielzahl von
Kriterien miteinbezogen werden, d.h. sowohl Inner- als auch
Außersprachliches wird teils getrennt, teils gemischt zur Postulierung
einer Sprachperiode angewandt. N.R. Wolf (1989) verteidigt diese
Vorgehensweise, da die Unterscheidung zwischen Außer- und
Innersprachlichem nur eine scheinbare sei. In Wirklichkeit könne man
beides gar nicht trennen, da außersprachliche Erscheinungen zwar nicht
direkt, aber doch indirekt mit Sprache verbunden seien und Sprache nur als
Produkt ihrer Sprecher existiere, die Sprache zur Interaktion in einer
Sprachgemeinschaft benützten. Deshalb müssten immer beide Arten von
Kriterien für linguistische Beschreibungs- und Erklärungsversuche
Beachtung finden. Weitere Nuancierungen dieser Diskussion finden sich in der
Frage, ob gewissen Kriterien Priorität über andere, zulässige
Kriterien eingeräumt werden sollte, so z.B. Herbert Wolfs Position, dass
die "ersten und tragenden Gesichtspunkte einer Periodisierung des Dt.
sprachimmanent sein [sollten] (Wolf, H 1984:821, meine Hervorhebung,
NL). Weiter ist man sich uneins, wieviele Kriterien durch Sprachwandel
betroffen sein müssen, um auch einen Sprachstufenwechsel rechtfertigen zu
können. Joachim Schildts Formulierung, dass Perioden dort enden und
beginnen, wo "Bündel von Veränderungen auf allen Ebenen des
Sprachsystems identifiziert werden können" (Schildt 1980: 387) bringt das
damit verbundene Problem mit sich, adäquat und ausreichend definieren zu
können, was alle Ebenen des Sprachsystems sind. Ohne eine scharfe
Definition hiervon gäbe es nach Schildts Formulierung niemals einen
Sprachperiodenübergang, da man sich nie sicher sein könnte, ob auch
alle Ebenen von Veränderung betroffen seien, erst recht, wenn
Außersprachliches miteinbezogen werde.
Roelckes Theorie
In seiner eigenen, allgemeinen Theorie zur Sprachperiodisierung bleibt Roelcke
den oben skizzierten Positionen gegenüber neutral. Auch bietet er keinen
neuen Vorschlag zur Periodisierung der deutschen Sprache anhand seiner Theorie,
da dies, so Roelcke, nicht "aus reinem Selbstzweck" geschehen sollte (S. 3). Im
Gegenteil: Roelcke beschränkt sich auf die kritische Beschreibung der
existierenden Vorschläge und zeigt diese in einem Licht, das deren
Ungenauigkeit, Heterogenität, und Inkonsequenz mit Bezug auf die Nennung
und Anwendung von wichtigen Definitionen unterstreicht. Hier gilt es
anzumerken, dass Roelckes eigene Definitionen auch recht vage sind. Er
definiert historische Sprachperioden als Stufen in der Geschichte einer
Sprache, die sich von anderen Stufen derselben Sprache zeitlich und faktisch
unterscheiden. Dies geschieht jedoch bewusst, da Roelcke seine Theorie
möglichst allgemein halten will. Dabei sollte seine generellen Theorie
dabei zuerst, so Roelcke, auf möglichst wenigen Kriterien, gleich welcher
Art angewandt werden. Er weist also keinesfalls bestimmte Kriterien (z.B.
Texttyp, Syntax usw.) oder Arten von Kriterien (außer- vs inner- vs
metasprachlich) zurück, sondern formuliert seine Forderungen an eine
Periodisierung einer Sprache in einer Reihe von Punkten: zum Ersten sollten
Periodisierungen zwischen forschungsintendierten und lehrintendierten
unterschieden werden (S. 468), wobei hier besonders wichtig ist, dass
forschungsintendierte Periodisierungsvorschläge sich a priori von dem
traditionellen bis heute domininierenden Modell nach Grimm 1822 und Scherer
1890 lösen müssen, nach dem das Deutsche in eine althochdeutsche
(750-1050), mittelhochdeutsche (1050-1350), frühneuhochdeutsche
(1350-1650) und neuhochdeutsche Periode (1650-heute) eingeteilt wird. Weiterhin
sollten die Bezeichnungen von sprachhistorische Perioden immer eine temporale
sowie eine qualitative Achse beeinhalten, wie z.B. in dem Begriff
`Althochdeutsch' durchgeführt (alt = temporal, hoch =
qualitativ). Zudem ist es für eine Periodisierung des Deutschen wichtig,
zwischen Kriterien und Arten von Kriterien zu unterscheiden, diese zu
definieren und sich dann konsequent an die Definitionen zu halten. Roelckes
vielleicht wichtigste Forderung ist, dass man sich bei einer
forschungsintendierten Periodisierung auf wenige Aspekte, am Besten nur ein
einziges Kriterium konzentriere, zumindest solange bis die Forschung eine
bessere, allgemeine Periodisierung der deutschen Sprache vorgenommen hat. Dies
erscheint als überaus sinnvoll, nicht nur, weil nur so das bisherige
Durcheinander aufgeräumt werden kann, sondern auch, weil sprachliche
Veränderungen erst in Isolation beschrieben werden müssen, bevor
Interdependenzen erahnt oder sogar bewiesen werden können.
Was die lehrintendierte Periodisierung von Sprachgeschichte angeht, nimmt
Roelcke eine weitaus tolerantere Position gegenüber den gängigen
Sprachgeschichten ein. Lehrintendierte Periodisierung gelte vor allem der
ersten Orientierung in der Primär- und Sekundärliteratur und somit
könne das bewährte Grimm-Scherer Modell weiterhin ruhig angewendet
werden. Dasselbe gilt für das Identifizieren von Periodengrenzen durch
Kriteriengruppen und nicht durch einzelne, isolierte Sprachveränderungen.
Durch ein solches Vorgehen werde es dem Studierenden erleichtert,
Periodengrenzen zu ermitteln, auch wenn diese in der neuesten Forschung (nach
Roelckes eigener Theorie) möglicherweise nicht bestätigt werden.
Problematisch wird dieses allerdings, wenn die Studierenden zu einem
späteren Zeitpunkt ihr bisheriges Wissen vergessen müssen, um sich
Roelckes Idee anzueignen, dass jede Periodisierung erst einmal nur für ein
Kriterium gilt.
Analysen und Tabellen
Der zweite Teil des Buches gilt der tabellarischen und analytischen
Beschreibung der ausgewählten Sprachgeschichten. Hierbei ist besonders
erwähnenswert, dass sich das Buch als langlebiges Nachschlagewerk
empfiehlt (und bei dem relativ hohen Preis von 220.- DM trägt dies auch
zur Beruhigung des Käufers bei). Die nach verschiedenen Kriterien
eingeteilten, alphabetisch geordneten Tabellen sich übersichtlich angelegt
und beleuchten in klarer und leicht nachvollziehbarer Weise die im Text
angesprochene Vielfalt und Komplexität. Jede Tabelle wird ausführlich
eingeleitet, wobei es anzumerken gilt, dass die jeweiligen Einleitungen die
Informationen aus den Tabellen in einer neuen, thematisch geordneten Weise
präsentieren, jedoch nicht unbedingt durch weitere Informationen
ergänzen. Auch ist zu sagen, dass in der Regel wenig statistische
Informationen vermittelt werden, die man vielleicht durch verschiedene Grafiken
einfach hätte ausdrücken können. Man mag streiten, ob die reine
Deskriptivität des Analyseteils zu loben oder zu bemängeln ist. In
jedem Fall sei es dem Rezensenten vergönnt, aufgrund der Kürze des
zusammenfassenden und kritischen Teil am Schluss des Buches ein wenig
enttäuscht zu sein.
Schluss
Dieses Buch zeigt deutlich, wie sehr viele der anerkannten sprachhistorischen
Werke bewusst oder unbewusst voraussetzen, dass Sprachwandel in fast
regelmäßigen Wellen vor sich geht. Sprachperioden werden häufig
als tatsächlich belegbare Stufen des Deutschen dargestellt, die als
Bündel und Häufungen von linguistischen Merkmalen definiert werden.
Während dies für die Lehre durchaus akzeptabel ist (und man beachte
auch, dass die Mehrheit der existierenden Sprachgeschichten sich in der Regel
an Studierende richten), so scheinen die meisten, wenn nicht alle Werke
für eine strikte, forschungsintendierte Periodisierung nicht anwendbar zu
sein. In diesem Zusammenhang weist Roelcke auf eine bei näherer
Betrachtung überraschende Beobachtung hin: obwohl die von ihm untersuchten
Werke sich häufig fundamental darin unterscheiden, welche Kriterien sie
für die Periodisierung akzeptieren und benutzen, ähneln sich die
tatsächlich vorgeschlagenen Periodisierungen doch sehr ähnlich in
Bezug auf ihre zeitliche Länge und Datierung. Es lässt sich der
Eindruck nicht vermeiden, dass auch bei den Vorschlägen, die sich aus den
bisherigen Traditionen lösen wollten, die Vorbildfunktion des
Grimm-Scherer Modells noch vorherrscht. Es scheint, dass häufig dort
Periodengrenzen gesehen werden, wo schon andere eine Zäsur gesetzt haben,
auch wenn diese von ganz anderen Kriterien ausgegangen sind.
Selbstverständlich heißt dies nicht, dass diese vorgeschlagene
Periodengrenze nicht existiert, aber ein Blick über die verschiedenen
Sprachgeschichten zeigt, dass selbst konkrete innersprachliche Kriterien, wie
z.B. der Wandel von X > Y, sich über Jahrhunderte, regional variierend,
erstreckte, und sich nicht in kurzen, klar abgesteckten Abschnitten vollzog.
Keine Sprachgeschichte behauptet, dass z.B. das Jahr 1350 ein
bedeutendes Jahr in der Geschichte des Deutschen war, aber in vielen
Sprachgeschichten wird gesagt, dass die Zeit um 1350 wichtig war, und es
werden meistens Sprachveränderungen aus vielen verschiedenen Kriterien zur
Unterstützung dafür angegeben. Ein kurzer Blick über diese
Veränderungen zeigt jedoch sofort, dass manche erst am Anfang ihrer
Veränderung, andere schon fast abgeschlossen waren. Wiederum andere waren
regional, andere texttypisch verschieden ausgeprägt. Es zeigt sich, dass
die Zeit um 1350 (als zufällig gewähltes Jahr) nur für einzelne
Kriterien, nicht jedoch für Gruppen von Kriterien relevant war. Die
angenommenen Interdependenzen zwischen der Entwicklung verschiedener Kriterien
ist selbst für die vermeintlich einfachen Beispiele, wie z.B. die bekannte
Sprachwandelreihe(vereinfacht dargestellt) -
a. Stressfixierung im Ahd. (Prosodie, Phonologie),
b. Verlust von nominaler Kasusmarkierung im Mhd. und Frnhd. (Morphologie),
c. Erstarrung der Satzgliederflexibilität im Satz im Nhd. (Syntax)
- nicht zwangsläufig bewiesen, wie Entwicklungen aus anderen Sprachen
zeigen. Es verbleibt also, wie Roelcke vorschlägt, eine Periodisierung
für die Entwicklung eines jeden Kriteriums einzeln aufstellen, bevor diese
Einzelperiodisierungen dann gesammelt betrachtet, verglichen und
möglicherweise gruppiert werden können. Nur so kann die Forschung ein
akkurateres Bild über die Existenz von tatsächlich existierenden
Sprachperioden gewinnen, auch wenn dies bedeutet, dass wir unser schätzen
gelerntes 4-Perioden Modell von Grimm-Scherer aufgeben müssen.
Literatur
Adelung, J.C.1782. Umständliches Lehrgebäude der Deutschen Sprache
zur Erläuterung der Deutschen Sprachlehre für Schulen. Bd. I.
Leipzig: Breitkopf [nachgedruckt durch Olms, Hildesheim, 1971]
Egenolff, M.J.A. 1735. Historie der Teutschen Sprache. Erster Theil.
Leipzig: Martini. [nachgedruckt durch Zentralantiquariat der DDR, Leipzig,
1978]
Grimm, J. 1822. Deutsche Grammatik. Erster Theil. Zweite Ausgabe.
Göttingen: Dieterich.
Moser, Hugo. 1951. Probleme der Periodisierung des Deutschen. In:
Germanisch- Romanische Monatsschrift 1. 296-308.
Objartel, G. 1980. Sprachstadium. In: Althaus, H.P., Henne. H. & H.E.
Wiegand. Lexikon der Germanistischen Linguistik. 2nd Auflage.
Tübingen: Niemeyer.
Penzl, H. 1989. Mittelhochdeutsch. Eine Einführung in die Dialekte.
Frankfurt: Lang.
Petersen, W.1787. Welches sind die Veränderungen und Epochen der deutschen
Hauptsprache [...] Eine preisgekrönte Preisschrift. In: Schriften der
Kurfürstlichen deutschen Gesellschaft in Mannheim. Bd. 3. Mannheim.
4-250.
Polenz, P. von. 1991,1994. Deutsche Sprachgeschichte vom
Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Bd I & II. Berlin: de
Gruyter.
Reichmann, O. 1992. Periodisierung und Raumgliederung des Deutschen. In: Agel,
V.& R. Hessky (Hrsg.). Offene Fragen - offene Antworten in der
Sprachgermanistik. Tübingen: Niemeyer.
Scherer, W. 1890. Zur Geschichte der deutschen Sprache. Berlin:
Weidmann.
Schildt, J. 1980. Zu einigen Problemen der Periodisierung der deutschen
Sprachgeschichte. In: Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und
Kommunikationsforschung 33. 386-394.
Schildt, J. 1982. Zum Verhältnis von Gesellschafts- und Sprachgeschichte.
Periodisierungsprobleme. In: Schildt, J. (Hrsg.). Zur Periodisierung der
deutschen Sprachgeschichte. Prinzipien - Probleme - Aufgaben. Berlin:
Akademie der Wissenschaften der DDR.
Schildt, J. 1991. Kurze Geschichte der deutschen Sprache. Berlin: Volk
und Wissen.
Schottel, J.G. 1663. Ausführliche Arbeit von der Teutschen Haubtsprache
[...]. Braunschweig: Zilliger. [nachgedruckt bei Niemeyer, Tübingen,
1967]
Wolf, H. 1984. Zur Periodisierung der deutschen Sprachgeschichte. In: Besch,
W., Reichmann, O. & S. Sonderegger (Hrsg.). Sprachgeschichte. Ein
Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung.
Berlin: de Gruyter.
Wolf, N.R. 1989. Zur Periodisierung der deutschen Sprachgeschichte. Eine Notiz.
In: Heimann, S. (et al) (Hrsg.). Soziokulturelle Kontexte zur Sprach- und
Literaturentwicklung. Festschrift für Rudolf Große zum 65.
Geburtstag. Stuttgart: Heinz.
Return to The Issue 3 Contents Page | The WJMLL Home Page