Das Frauenbild in der Werbung und Werbesprache: Attribuierungen zur potentiellen Konsumentin.

Anke H. Hübner

Continued (page 3 of 7)


3.2.1. Die leidende Frau (Produkte: Damenbinden, Tampons, Arzneimittel (1953), Blutzuckermeßgerät, Schnupfenmittel (1993))

Sechs Werbeanzeigen, die die Frau als potentielle Konsumentin von Damenbinden, Tampons und Medikamenten ansprechen, werden analysiert. Fünf Anzeigen für diese Produktgruppe stammen aus dem Jahr 1953. Dies läßt sich dadurch erklären, daß z. B. mit dem Erscheinen von Tampons auf dem Markt Frauenhygiene in den 50er Jahren zu einem wichtigen frauenspezifischen Thema wurde. Nur eine Werbeanzeige für das Medikament "ratiopharm" (Stern 1993: 5, 26) ist für die Leserschaft 1993 gedacht.

Die potentielle Konsumentin in ihrer Situation als menstruierende Frau wird in den Werbeanzeigen 1953 mit folgenden Euphemismen (in den Werbetexten mit und ohne Anführungszeichen) beschrieben:

an den kritischen Tagen [...] während jener Tage [Bodycopy]
für die abklingenden Tage [Insert]
[Stern 1953: 5, 18. Produkt: Camelia Damenbinden]

an "gewissen Tagen" [Bodycopy]
[Stern 1953: 2, 24. Produkt: Melabon Medikament]

in "jenen Tagen" [Bodycopy]
[Stern 1953: 3, 26. Produkt: Amira-Tampons]

in den bewußten Tagen [...] dem "kritischen Tag" [Bodycopy]
[Stern 1953: 5, 33. Produkt: Spalt-Tabletten]

Durch die Verwendung von Anführungszeichen wird dem Publikum signalisiert, daß es sich hier um ein Tabuthema handelt, und die Werbeanzeige nur für die betroffenen Frauen gedacht ist. Potentielle Konsumentinnen werden beschrieben als:

Das Mädchen von heute [Bodycopy]
[Stern 1953: 5, 18. Produkt: Camelia Damenbinden]

Ein halber Mensch [Headline]
[Stern 1953: 2, 24. Produkt: Melabon Medikament]

nervöse, reizbare, erschöpfte Frauen. [Bodycopy]
[Stern 1953: 3, 28. Produkt: Frauengold Medikament]

Die angesprochene Konsumentinnengruppe reicht von den jungen Mädchen, die vielleicht zum ersten Mal menstruieren bis zu überarbeiteten, erschöpften Frauen. Es ist überraschend, daß heute, wo ein Großteil der Frauen Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen versuchen, Adjektive wie nervös und erschöpft nicht im Werbevokabular vorkommen. Dahinter mag der Mythos von wonderwoman stecken: Beruf und Karriere werden nicht als Doppelbelastung, sondern als Herausforderung gesehen.

Durch rhetorische Fragen wird Kontakt gesucht und eine Beziehung zur Leserin aufgebaut, wobei neben Vertrauen auch die Themen Selbstvertrauen und Sicherheit angesprochen werden:

Gibt es einen noch besseren Vertrauensbeweis? [Bodycopy]
[Stern 1953: 5, 18. Produkt: Camelia Damenbinden]
Die potentielle Konsumentin wird direkt angesprochen mit

Sie, liebe Freundin [Bodycopy]
[Stern 1953: 3, 26. Produkt: Amira-Tampons]

Das Bild der Freundin bzw. "besten Freundin" wird ausgenutzt, um das Gefühl von Vertrauen zu kreieren, daß sich dann auf das Produkt überträgt und direkte Aufforderungen machen die pragmatische Zielsetzung der Werbeanzeigen deutlich:

Möchten Sie alles über Amira erfahren? Dann fordern Sie noch heute das kostenlose Büchlein "Befreite Tage". Es sagt Ihnen mehr als Ihre beste Freundin. [Bodycopy]
[Stern 1953: 3, 26. Produkt: Amira-Tampons]

Die Benutzung von Diminutiven wie "Büchlein" ist typisch für Werbeanzeigen, die Frauen als Zielgruppe haben: Frauen wollen klein und zierlich sein. Sie umgeben sich gerne mit kleinen, niedlichen Dingen - dies 1953 wie heute.

Man beachte die heute ungewöhnliche Verwendung von fordern ohne trennbaren Verbzusatz an. Im modernen deutschen Sprachgebrauch heißt es: "Fordern Sie noch heute die Broschüre an."

Die Frau-Frau-Beziehung wird auch in Form eines fiktiven Telefongesprächs mit der Freundin thematisiert. Im 'Werbedialog' versteckt sich der Anbieter geradezu hinter dem Bild der guten Freundin und läßt sie für sich sprechen:

Was, Du kommst heute nicht? [Headline]
Aber Elli, das ist doch keine Entschuldigung! [...] Ein, zwei "Spalt-Tabletten" genommen und Du bist wieder obenauf - wetten? [...] Paß mal auf: Aus dem "kritischen Tag" wird ein vergnügter Abend. Na also, bis nachher! [Bodycopy]
[Stern 1953: 5, 33. Produkt: Spalt-Tabletten]

Die moderne Werbeanzeige für "ratiopharm"-Schnupfenmittel wirbt mit der Schwarzweißfotografie eines Frauengesichts. Die Werbeanzeige hat keine Bodycopy. Die Zielgruppe wird unter den Produktabbildungen genannt und man darf davon ausgehen, daß die potentielle Kundin mitgemeint ist:

für Erwachsene u. Schulkdr. [Insert]
[Stern 1993: 5, 26. Produkte: ratiopharm-Schnupfenmittel]

Interessant ist hier die ungewöhnliche Abkürzung "Kdr." für Kinder, die sich aus Platzmangel im Layout der Werbeanzeige erklären läßt.

Wie aus den Anzeigenbeispielen hervorgeht, stammt die Mehrzahl der Werbetexte dieser Kategorie aus dem "Stern" 1953. Obwohl vor 40 Jahren regelmäßig und häufig für Tampons und Damenbinden geworben wird, erscheinen in keiner Werbeanzeige die Worte Menstruation, Regelblutung oder Monatsblutung. Statt dessen benutzen die Werbetexter Euphemismen. Heute hört man Frauen sagen: "Ich habe meine Tage". Die Benutzung negativ konnotierter Attribuierungen wie "kritisch, jene" ist unüblich geworden bzw. nur typisch für die Generation Frau, die in den 50er Jahren jung war und als erste Generation von den Vorteilen der neuen Frauenhygiene profitierte. Frauen werden explizit beschrieben als "nervöse, reizbare, erschöpfte" Geschöpfe, wobei es der Leserin/dem Leser überlassen bleibt, über die Ursachen von Nervosität, Reizbarkeit und Erschöpfung nachzudenken. Aus heutiger Sicht wirken diese Attribuierungen negativ, weil bevormundend. Sie stützen das Vorurteil vom 'hysterischen Weibsbild'.

In den untersuchten Ausgaben des "Stern" 1993 ist Menstruation und Frauenleiden kein Werbethema. Für die Frau von heute sind Tampons und die Freiheit, die sie geben, zur Selbstverständlichkeit geworden. Heute gilt es, den Konsumentinnen den Gebrauch von Slipeinlagen näherzubringen. Die Werbebranche benutzt dazu z. B. in Fernsehwerbespots das Bild der freien, sportlich aktiven Frau. Im Anzeigenbeispiel aus dem Jahr 1993 finden sich keine expliziten Attribuierungen zur potentiellen Konsumentin.


3.2.2. Die Frau als Sexobjekt (Produkte: Strümpfe, Lippenstift (1953), Bier, Polstermöbel, Badetuch, Damenmode, erotische Wäsche (1993))

Explizite Darstellungen der Frau als Sexobjekt finden sich im "Stern" 1993 recht häufig, neun interessante Beispiele werden analysiert. Im "Stern" 1953 sind zwei Beispiele zu finden, die die Frau zum Sexobjekt degradieren. Das sexistische Element ist meistens im Catch-Visual enthalten, z. B. die Farbfotografie eines Männergesichts (Nahaufnahme) rechts und links flankiert von Frauendekolletés. Die Frauen sind reduziert auf ihre Brüste (d. h. die Frauenköpfe bzw. -gesichter erscheinen nicht auf dem Foto). Der Mann steht für den Biergenießer schlechthin, die Anzeige wirbt für die Biermarke König-Pilsener (Stern 1993: 1, 2).

Mit Frauenkörpern wird nicht nur für Bier geworben, sondern für unterschiedliche Produkte. So wirbt eines der größten deutschen Kaffeeunternehmen mit der Farbfotografie einer jungen Blondine, die ihren nackten Körper hinter dem angepriesenen Tchibo "Riesen-Badetuch" versteckt (Stern 1993: 5, 2). Diese Werbeanzeige besitzt keine Bodycopy, sondern nur das Catch-Visual und die Abbildung drei weiterer in den Tchibo-Geschäften erhältlicher Produkte mit Produktbezeichnung und Preisangabe sowie Tchibo-Logo und Marken-Emblem. Die Werbeseite ist in der Signalfarbe gelb gedruckt. Die Farbe gelb sowie das Marken-Emblem, eine Kaffeebohne, sind konstante Grafikbausteine aller Tchibo-Werbekampagnen. Es darf deshalb von der Leserschaft erwartet werden, daß sie Tchibos Werbeanzeige sofort als solche erkennt.

Auf den letzten Seiten der "Stern"-Ausgaben 1993 finden sich regelmäßig kleinformatige Anzeigen für erotische Wäsche. In diesen Fällen ist es nicht erstaunlich, daß Frauenkörper bzw. weibliche Körperteile zu Werbezwecken abgebildet werden, da man mit Reizwäsche nackte Frauenhaut und Sex assoziiert. Dies gilt nur bedingt für Badetücher und Damenmode, nicht für Bier und Polstermöbel. In allen Werbeanzeigen dieser Art finden sich Schwarzweißabbildungen bzw. -fotografien von Frauen in Reizwäsche sowie einmal die Abbildung eines Frauenfußes in hochhackigem Damenschuh (Stern 1993: 5, 154. Produkt: "Schwarze Mode. Erotische Literatur", Stern 1993: 3, 122. Produkt: "Leder-Dessous-Stiefel, 3 Erotische Kataloge für Damen und Herren", Stern 1993: 3, 122. Produkt: "Gummi - Lack - Leder - Plastic - Sexy-Moden", Stern 1993: 4, 144. Produkt: "Bizarre Mode"). Eva Heller (1984:137) widmet frauendiskriminierender Werbung ein ganzes Kapitel und ruft auf zum Boykott:

Frauen können solche Werbung nicht abschaffen, indem sie in ihrer Kritik mühsam Argumente für diese Werbung suchen - sogar noch dazuerfinden, es genügt ein Gegenargument: die Weigerung, Produkte mit frauendiskriminierender Werbung zu kaufen.

Oft wird das beworbene Produkt mit Attribuierungen versehen, mit denen traditionell Frauen beschrieben werden:

Grazile Schönheit, Eleganz und Charme [...] runde Harmonie und Leichtigkeit.[...] lockt [...] den Arm aufzulegen, den Kopf anzuschmiegen. [Bodycopy]
[Stern 1993: 4, 26-27. Produkt: Rolf Benz Polstermöbel]

Vielleicht ein bißchen üppiger als üblich, ganz sicher
sehr viel einladender als manch eckiger Zeitgeist erlaubt. Kann denn Kuscheln Sünde sein?" [Bodycopy]
[Stern 1993: 4, 126-127. Produkt: Cor Sitzmöbel]

Bild und Text stehen hier in einem engen Wirkverbund. Das Visual zeigt ein Benz-Sofa im Vordergrund und eine junge, schlanke Frau in einem Kleid aus weichfließendem Stoff im Hintergrund bzw. ein Cor-Sofa mit Damenunterwäsche darauf.

Beide Zitate sind Werbeanzeigen für Polstermöbel entnommen. Die Tatsache, daß der weibliche Körper allgemein als ästhetisch schön empfunden wird, soll positive Assoziationen erwecken, d. h. der Leser/die Leserin assoziiert mit dem Sofa die Weichheit der weiblichen Haut, die zum kuscheln und sich anschmiegen einlädt. Welcher Personenkreis ist Zielgruppe? Es darf davon ausgegangen werden, daß die Frau in den meisten Haushalten über die Anschaffung von Möbelstücken entscheidet. Zieht man die moderne Entwicklung zum Einpersonen-Haushalt in Betracht, dann darf davon ausgegangen werden, daß der männliche 'Single' mit Geld und Geschmack als Zielgruppe in Frage kommt. Sexistisch motivierte Doppeldeutigkeiten dieser Art finden sich häufig in expliziterer Form in Werbeanzeigen für Autoliebhaber, wo Autokarossserieteile und -zubehör mit weiblichen Körperteilen verglichen werden.

In den Werbeanzeigen von 1953 ist das Bildelement häufig zweitrangig, und oft werden im Textteil fiktive Dialoge zwischen Frauen benutzt, womit den Leserinnen eine Identifikations-möglichkeit geboten wird. Die potentielle Konsumentin tritt in ein fiktives Zwiegespräch mit den in der Anzeige abgebildeten Frauen. Die Anzeigenleserin fühlt sich angesprochen und verstanden: Ja, so fühle ich auch! Ja, das ist auch mein Problem! Gelingt dem Werbekommunikators dies, dann hat die Rezipientin ihm gegenüber eine irrationale Vertrauensbeziehung entwickelt, die nicht aus der Einsicht in die Notwendigkeit des Konsums stammt. Die Werbung für Bernd Berger Mode benutzt 1993 diese Werbestrategie :

"Irgendwie ist mein Busen zu klein."
"Ansichtssache! Jeder Busen ist so schön wie die Frau, zu der er gehört." Bernd Berger [Headline]
Viventy by Bernd Berger [Logo]
[Stern 1993: 5, 70-71. Produkt: Damenmode Bernd Berger]

Das Bildelement besteht aus einer Schwarzweißfotografie, auf der zwei junge Frauen zu sehen sind. Die nackte Kindfrau bedeckt ihren Busen mit den verschränkten Armen. Die schick gekleidete Lippenstiftträgerin zeigt stolz ihren Ausschnitt. Daß der Frauenkörper - bekleidet, teilweise nackt oder ganz entblößt - als 'Werbevehikel' benutzt wird, ist in der männerdominierten Welt der Werbemacher kein Wunder. Da heutzutage mehr und mehr Kosmetik und Reizwäsche für den Herrn auf den Markt drängen, ist zu erwarten, daß in Zukunft auch der nackte Männerkörper als Catch-Visual in Werbeanzeige vermarktet wird.

Für den Konsumenten, der die Marke Bernd Berger nicht kennt oder den modebewußte Leser, der nicht mit deutschen Designermarken vertraut ist, ist es vom reinen Betrachten der Werbeanzeige her unmöglich, herauszufinden, für welches Produkt geworben wird: Damenmode, Lippenstift oder eine Zeitschrift pornographischen Inhalts, Typ weiche Pornographie? Die Tatsache, daß die Werbeagentur eine Schwarzweiß- und keine Farbfotografie als Blickfang benutzt, erklärt sich durch das seit Mitte der 80er Jahre beobachtbare Comeback von nostalgisch-romantischen Schwarzweißfotografien auf Postern, Grußkarten und Kalenderblättern.

1953 war das Erkennen des beworbenen Produktes vergleichsweise einfach, da die Produktabbildung einen Textbaustein bildete und der Anzeigentext explizit und informativ war. Dies ist auch der Fall in den beiden Werbeanzeigen aus dem Jahre 1953, die auch in die Kategorie "Frau als Sexobjekt" eingeordnet werden können, wenn man die Reduzierung der Frau auf ihre Beine als eine Darstellung der Frau als Sexobjekt interpretiert. Beide Male handelt es sich um eine Schwarzweißzeichnung, die eine Frau in kurzem Rock zeigt; die Blickrichtung verläuft von den Fußspitzen nach oben. Im Fall der Werbeanzeige für Lippenstift hat die 'Werbefrau' einen Namen und einen Beruf und dies macht sie sympathisch: "Pariser Revue-Star Jeanette" (Stern 1953: 1, 22. Produkt: Guitare Lippenstift. Siehe auch Kategorie "Die geschminkte Frau"). Die Abbildung der attraktiven Frau wird komplimentiert durch das Key-Visual. Es könnte argumentiert werden, daß die Fokussierung auf die Frauenbeine für Lippenstiftwerbung unnötig ist. Die meisten Lippenstift-Werbeanzeigen bilden auch bevorzugt ein Frauengesicht ab bzw. heutzutage wird der Blick nur noch auf den Mund der Lippenstiftträgerin gelenkt. Im zweiten Fall handelt es sich um eine Werbeanzeige für Strümpfe (Stern 1953: 1, 24. Produkt: Tauscher Strümpfe), und hier darf man die Abbildung bestrumpfter Frauenbeine - da gleichzeitig Produktabbildung - als gerechtfertigt ansehen. Dies gilt auch für Werbung für Unterwäsche und Nachtwäsche, die oft nur an einer Trägerin richtig zur Geltung kommt.


3.2.3. Die geschminkte Frau (Produkte: Dekorative Kosmetik (alle 1953))

Die drittgrößte Gruppe aller Werbeanzeigen zum Thema Frau bilden Werbeanzeigen für dekorative Kosmetik, d. h. Make-up, Lippenstift, Rouge, Parfüm, Bräunungs- und Enthaarungscreme, Nagellack und Nagellackentferner, Puder und Creme. Acht Werbeanzeigen finden Eingang in die Analyse, alle acht stammen aus dem Jahr 1953. Werbeanzeigen für dekorative Kosmetik sind heute meist für den internationalen Markt und ohne Worte. Sie bestehen häufig nur aus Catch-Visual und eventuell Key-Visual sowie Logo und/oder Logo-Slogan (für Nagellackwerbung zum Beispiel ist das Catch-Visual reduziert auf die Abbildung des schön lackierten Nagels ohne Abbildung der schönen Frau).

Die Erklärung für diesen Sachverhalt liegt in der Marktsituation. Nach dem Zweiten Weltkrieg und unter dem Einfluß der USA war dekorative Kosmetik neu - die Kundschaft der Wirtschaftswunder-jahre hatte Geld und verlangte nach einem besseren Lebensstil. Werbeanzeigen für Lippenstifte etc. waren notwendig, um die Öffentlichkeit zu informieren, daß kosmetische Produkte erhältlich waren und zu erklären, wie 'frau' sie benutzt. 40 Jahre später ist der Markt durch internationale Kosmetik-hersteller überschwemmt, und die moderne Frau weiß mit den Produkten umzugehen. Das Werbeziel ist, ein bestimmtes Produkt aus der Masse der Produkte abzuheben und die Konsumentin regelmäßig an die Existenz des Produktes zu erinnern.

Alle hier analysierten Werbeanzeigen stammen aus dem Jahr 1953. Die ersten fünf Hefte der Publikumszeitschrift "Stern" 1993 enthalten keine Werbeanzeigen für dekorative Kosmetik. Werbung für diese Produktsparte findet sich heute gehäuft in den sogenannten Frauenzeitschriften wie "Cosmopolitan", "Für Sie", "Freundin", "Petra", "Brigitte" um nur eine Auswahl zu nennen. Wie oben erwähnt, handelt es sich dabei oft um internationale Werbeanzeigen ohne Worte.

1953 steht die natürlich schöne und jugendfrische Frau im Mittelpunkt. Der Hinweis an die Kosmetikbenutzerin, darauf zu achten, daß niemand bemerkt, daß sie geschminkt ist, läßt vermuten, daß die Benutzung kosmetischer Produkte in den 50er Jahren als unnatürlich galt und als eitel, d. h. negativ angesehen wurde.

Im Mittelpunkt der Werbebotschaft steht die

[...] verfeinerte(n) Art, nicht geschminkt, sondern vornehm und natürlich schön auszusehen. [...] [Bodycopy]
[Stern 1953: 2, 19. Produkt: Happy-End Make-up]

[...] eine natürliche Frische [...], ohne daß die Anwendung erkennbar ist. [Bodycopy]
Durch Khasana jugendfrisch und liebenswert [Logo-Slogan]
[Stern 1953: 2, 24. Produkte: Khasana-Lippenstift und -Rouge]

Die Kosmetikwerbung 1953 weist einen hohen Anteil an französischem und englischem Lehnwortgut (lexikalische Entlehnungen) auf, wie die Marken- und Produktnamen, die Produktbezeichnungen und -beschreibungen sowie die Attribuierungen zur potentiellen Konsumentin zeigen.

Die Firma Pond's benutzt die im Englischen übliche Kennzeichnung des Genitiv durch Apostroph. Diese nach deutschen Rechtschreibregeln fehlerhafte Orthographie ist damals wie heute als modischer Einfluß der USA zu werten und verspricht einen Neugiereffekt. Der Genitiv mit Apostroph findet sich demnach auch in modernen Werbeanzeigen und ist in deutschen Einkaufsstraßen auf Firmen- und Geschäftsschildern zu sehen.

"Angel Face" [...] Pond's Make-up [Bodycopy]
Pond's Angel Face [Insert]
[Stern 1953: 4, 31. Produkt: "Angel Face" Make-up]

Happy-End Make-up [Bodycopy]
[Stern 1953: 2, 19. Produkt: Happy-End Make-up]

Khasana-Rouge [Bodycopy]
[Stern 1953: 2, 24. Produkte: Khasana-Lippenstift und -Rouge]

Pariser Revue-Star [Headline]
Guitare [Bodycopy]
[Stern 1953: 1, 22. Produkt: Guitare Lippenstift]

[...] Ihr Teint durch TOSCA-Puder [...] TOSCA-Creme [...] [Bodycopy]
[Stern 1953: 3, 19. Produkte: Tosca-Puder und -Creme]

Der Effekt von Lehn- und Fremdwörtern, insbesondere bei der Produktbenennung, hängt stark von den Konnotationen ab, die das Wort und sein Herkunftsland mit sich tragen. Es darf angenommen werden, daß ein sprachlicher Ausdruck wie "Happy-End" oder "Angel Face" dem 1953 jungen, deutschsprachigen Publikum bekannt war und damit Unschuld, Glück und der unkomplizierte amerikanische Lebensstil assoziiert wurde. Cook widmet diesem Phänomen ein ganzes Unterkapitel und untersucht Parfümnamen (1992:107):

The effect of names is often modified by their preservation, untranslated, for the foreign market. Many French and Italian perfumes are marketed with their original names to English-speaking consumers. Where the meaning is widely known (L'aimant, Exotique, Eau Sauvage) they may preserve their original connotations, simply attracting the extra connotations of the culture of which they are an index.

Die Frau 1953 will nicht nur natürlich schön, sondern auch sexy, verführerisch und begehrenswert sein, und der Lippenstift war und ist Mittel zum Zweck. 1953 wurde die Frau durch die Wortwahl zum Sexobjekt degradiert, heute geschieht dies durch die Bildmotive (siehe Kategorie 3. 2. 2. "Die Frau als Sexobjekt"). Mit Attribuierungen wie "anziehend" (Stern 1953: 1, 22), "verführerisch" (Stern 1953: 2, 24) und "begehrenswert" (Stern 1953: 3, 28) wird auf den Mund bzw. die Gesamterscheinung der potentiellen Kosmetikbenutzerin verwiesen.

Die Konsumentin wird 1953 recht häufig direkt angesprochen, d. h. ihr wird nahegelegt, das Produkt zu erwerben oder sie wird um Vorsicht gebeten, keine Nachahmungen zu kaufen.

[...] wählen Sie [...] [Bodycopy]
[Stern 1953: 2, 19. Produkt: Happy-End Make-up]

Achten Sie stets auf [...] Weisen Sie Nachahmungen zurück [Insert]
[Stern 1953: 4, 27. Produkt: Happy-End Make-up]

Eine verdeckte Adressatinnen-Anrede erfolgt durch die Benutzung von Possessivpronomina:

[...] verleiht Ihren Fingerspitzen bezaubernden Glanz und vervollständigt die Gepflegtheit Ihrer Erscheinung. [Bodycopy]
[Stern 1953: 4, 30. Produkte: Heluan-Nagellack und Nagellackentferner]

[...] erfüllt alle Ihre Wünsche [...] Ihre Haut [...] [Bodycopy]
In 5 zarten Farbtönen, die Ihrem Teint schmeicheln. [Insert]
[Stern 1953: 4, 31. Produkt: "Angel Face" Make-up]

Wo die Kundin nicht individuell angesprochen wird, wird mit Hilfe des unbestimmten Artikels auf die Frau im allgemeinen bzw. auf alle Frauen verwiesen, und die Anzeigenleserin darf sich mitgemeint fühlen. Das Zitat der bekannten Hannelore Schroth ist Garant für Qualität:

Mit sicherem Gefühl spürt eine Frau, daß [...]. [Bodycopy]
[Stern 1953: 3, 28. Produkte: Khasana-Lippenstift und -Rouge, Khasana-Puder, -Nagellack und -Augenbrauenstift, Khasana-Orchideen-Creme zum Bräunen der Haut,
Dulmin-Enthaarungscreme gegen lästige Haare, Khasana-Parfümstab]

"Jetzt weiß ich, warum so viele Frauen auf ihr Happy-End Make-up schwören: [...] Hannelore Schroth [Headline]
Der Wunschtraum jeder Frau ist erfüllt: [...] [Insert]
[Stern 1953: 4, 27. Produkt: Happy-End Make-up]

Die Konsumgüterwerbung zielt darauf ab, daß die Konsumentin sich mit dem Produkt, seiner Verpackung und der versprochenen Wirkung identifiziert und damit die Attribuierungen zum Produkt auf sich selbst überträgt:

Das gesamte beliebte Riz-Make-up [...] im eleganten Reißverschluß-Necessaire [Insert]
[Stern 1953: 4, 27. Produkt: Happy-End Make-up]

"Angel Face" in der hübschen, praktischen Dose mit der kleinen Samtquaste wird Ihnen bald so unentbehrlich sein, daß Sie es immer bei sich tragen. [Insert]
[Stern 1953: 4, 31. Produkte: "Angel Face" Make-up]

Die von der Werbebranche beabsichtigte Schlußfolgerung - hier bewußt übertrieben formuliert - lautet: Indem ich als Konsumentin das beliebte Riz-Make-up in der eleganten Verpackung benutzte, wirke auch ich elegant und bin darum bei den Mitmenschen bzw. Herren beliebt. Indem mir die kleine Samtquaste unentbehrlich wird, werde ich zu einem hübschen, kleinen, engelsgleichen Geschöpf. Das Kompositum "Reißverschluß-Necessaire" (in Anlehnung an Reisenecessaire) zur Beschreibung des Kosmetikbeutels evoziert Konnotationen wie französische Eleganz und feiner Lebensstil. Die 'Paarung' des fremdsprachigen Grundworts "Necessaire" mit dem deutschen Bestimmungswort "Reißverschluß" ist mißglückt, da es den 'Konnotationsfluß' zerstört.

Die direkten Attribuierungen zur potentiellen Konsumentin, die in den Werbebotschaften der 50er Jahre enthalten sind, lauten: "vornehm und natürlich schön" (Stern 1953: 2, 19) sowie "jugendfrisch und liebenswert" (Stern 1953: 2, 24). Aus bereits genannten Gründen sind in diese Analyse keine modernen Kosmetikanzeigen eingegangen. Aus der Kenntnis der modernen, kreativen Werbesprache können Attribuierungen wie "schön" und "jünger" als fade und einfallslos beschrieben werden. Attribuierungen zu einzelnen Körperteilen der Frau wie z. B. zu ihrem Mund finden sich häufiger als Attribuierungen zu ihrer Gesamterscheinung. Mit Attribuierungen wie "anziehend" (Stern 1953: 1, 22), "verführerisch" (Stern 1953: 2, 24) und "begehrenswert" (Stern 1953: 3, 28) wird auf die Frau als Sexualpartnerin angespielt (siehe Kategorie 3.2.2. "Die Frau als Sexobjekt").


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