Das Frauenbild in der Werbung und Werbesprache: Attribuierungen zur potentiellen Konsumentin.

Anke H. Hübner

Continued (page 5 of 7)


3.2.7. Die schlanke Frau (Produkte: Schlankheitsmittel, Thermalbad (1953), Abführtee, Telefon (1993))

In diese Kategorie fallen drei Werbeanzeigen aus dem Jahre 1953. Eine Anzeige informiert über ein "radikales Schlankheitsmittel" mit dem Namen "Hormon-Graxiosa" (Stern: 1953: 4, 29), die zweite wirbt für das "Kreuz-Thermalbad" (Stern 1953: 2, 24) und eine dritte für die Entschlackungsmittel "Richtertee" in Kombination mit "Drix-Dragees" (Stern 1953: 2, 26). 40 Jahre später findet sich eine Werbeanzeige für Abführtee sowie eine Telefon-Werbung, die auf "Schlankwerden" anspielt. Nur in der Anzeige von 1953, die für das radikale Schlankheitsmittel "Hormon-Graxiosa" wirbt, werden die potentiellen Konsumenten direkt angesprochen:

Schlankwerden
für Ihn und Sie
(äußerlich) durch Hormone
Neu Hormon-Graxiosa [Headline]
[Stern 1953: 4, 29. Produkt: Schlankheitsmittel Hormon-Graxiosa]

Im weiteren Textverlauf heißt es:

Auch Sie können so schlank sein wie die berühmte Künstlerin Irm von Küsswetter, New York, im nebensteh. Bilde, wenn Sie nur 4 Wochen Hormon-Graxiosa anwenden. Gewichtsabnahme von 10 Pfund und mehr [...] [Bodycopy]
[Stern 1953: 4, 29. Produkt: Schlankheitsmittel Hormon-Graxiosa]

Es kann davon ausgegangen werden, daß Männer sich nicht mit einer Künstlerin vergleichen bzw. identifizieren werden, d. h. diese Anzeige soll vor allem Frauen ansprechen.

Das Verb abnehmen als Synonym für an Körpergewicht verlieren, findet sich in einer modernen Werbeanzeige, die nichts mit Schlankheitsmitteln zu tun hat. Das Catch-Visual zeigt eine junge, schlanke Frau im Jackett, Typ Karrierefrau. Aus diesem Grund könnte die Anzeige auch in die Kategorie "Die berufstätige Frau" eingeordnet werden. Die Zugehörigkeit zu mehreren Kategorien, je nachdem ob Werbetext oder Werbebild im Mittelpunkt der Analyse stehen, ist bei modernen Anzeigen häufig zu beobachten. Mit doppelter Ambiguität und einem leicht merkbaren Slogan in englischer Sprache wird in diesem Fall für Grundig Telefone geworben.

Bei Ihr hat's geklingelt. Grundig Telefone sind der schönste Grund, mal wieder abzunehmen. [Headline]
Grundig
made for you [Logo-Slogan]
[Stern 1993: 2, 55. Produkt: Grundig Telefon]

Dieser kurze Text bietet zwei Lesarten - a) Ihr Telefon hat geklingelt. Das ist der schönste Grund, den Hörer abzunehmen; b) Sie hat etwas verstanden. Hat sie verstanden, daß Grundig Telefone absolut notwendige Statussymbole für die schlanke Frau von heute sind, oder, daß Grundig Telefone der modernen Frau helfen, schlank zu werden? Diese Werbeanzeige ist ein Beispiel für die beobachtbare Zunahme von Zwei- oder Mehrdeutigkeit in der deutschen Werbesprache. In kleinem Rahmen spiegelt sich hier die seit Mitte des 19. Jahrhunderts beobachtbare Entwicklungstendenz des Deutschen von der einfachen und expliziten zur vagen, implikativen Sprache "mit vielen Anspielungen, uneigentlichen Ausdrucksweisen und hintergründig Mitzuverstehendem" wider (Polenz 1985: 15). Die Ambiguität wird aufgelöst durch das Catch-Visual: eine Schwarzweißfotografie, die eine junge Frau, Typ Karrierefrau, vor einer leeren Wand zeigt. In der rechten unteren Ecke 'stört' die Produktabbildung die Harmonie des Catch-Visuals. Der Logo-Slogan läßt sich leicht merken und erscheint allen Lesern als bekannt, da es sich um eine Abwandlung des Gütesiegels Made in Germany handelt. Die Tatsache, daß der Logo-Slogan in englischer Sprache ist, läßt wiederum Rückschlüsse ziehen auf die potentielle Konsumentin: die gebildete, berufstätige Frau mit Englischkenntnissen, die wählerisch ist und genau weiß, was sie will.

[...] Unterhalten Sie sich mit Ihrem Fachhändler. [Bodycopy]
[Stern 1993: 2, 55. Produkt: Grundig Telefone]

Die Aufforderung "Unterhalten Sie sich mit Ihrem Fachhändler" ist ein Schritt zur Kaufaufforderung. Die Verwendung des Verbs sich unterhalten suggeriert ein zwangloses, privates Gespräch und darf im Kontext Kontaktaufnahme als ungewöhnlich eingestuft werden. Zu erwarten wäre eine Formulierung wie: "Kontaktieren Sie...Fragen Sie...Sprechen Sie mit...". Das Verb unterhalten paßt jedoch vorzüglich in den Kontext des Telefonierens und mitgemeint ist: sich per Telefon mit einem lieben Menschen nett unterhalten. Damit wird dem potentiellen Kunden hintergründig mitgeteilt, daß alle Grundig-Händler freundliche Menschen sind und man sich gut mit ihnen unterhalten kann.


3.2.8. Die Frau als (werdende) Mutter (Produkte: Zahnpasta, Körperpuder, Radiogerät (1953), DAK Deutsche Angestellten Krankenkasse, Elternmagazin (1993))

Von den fünf ausgewählten Werbeanzeigen, die die Frau in ihrer Rolle als Mutter bzw. werdende Mutter zeigen, stammen zwei aus dem Jahre 1993 und drei von 1953. In beiden modernen Werbeanzeigen handelt es sich um werdende Mütter, die aber nicht direkt angesprochen werden.

In einer Welt, die heute mehr denn je große Anforderungen an uns stellt, verlangt eine Mutter nach Geborgenheit, nach Sicherheit und Verständnis. [...] [Bodycopy]
[Stern 1993: 4, 52-53. DAK Deutsche Angestellten Krankenkasse]

Der unbestimmte Artikel und die Singularform wirken generalisierend, d. h. alle Mütter dürfen sich angesprochen fühlen. Die Headline ist eine rhetorische Frage: "Noch Fragen?". Das Versprechen "mit unserem Verständnis und unserem Wissen eine umfassende Fürsorge für Mutter und Kind" anzubieten und die Versicherung "für uns kommen ihre Gesundheit, ihre Sicherheit und ihre Umwelt zuerst" dominieren die Bodycopy. Diese Sprecherhandlungen simulieren ein vertrauliches Gespräch zwischen Anbieter und Konsument/in.

Einer Elternzeitschrift dient die Nahaufnahme des Bauches einer hochschwangeren Frau als Blickfang. Die Werbeanzeige besitzt keine Bodycopy und die Headline besteht aus insgesamt drei Fragen. In zwei Fällen handelt es sich um Einwortfragen ohne Interrogativpronomen, die dritte Frage ist subjektlos. Dieser stakkatohafte Fragestil soll die Situation einer ängstlichen Schwangeren vor der Entbindung simulieren, d. h. eine Identifikationsmöglichkeit schaffen.

Medikamente?
Massage?
Mit Methode atmen? [Headline]
[Stern 1993: 3, 101. Produkt: Elternmagazin "Mein Kind und ich"]

Die vollständigen Fragen können lauten: Soll ich als Schwangere Medikamente einnehmen? Welche Medikamente soll/darf/kann/muß ich während der Schwangerschaft einnehmen? Ist eine Massage gut? Gibt es eine Atemmethode? Soll ich mit Methode atmen?

Der betroffenen Zielgruppe wird erstens zugetraut, aktiv zu werden und die Fragen auszuformulieren, und zweitens, zwischen den Zeilen zu lesen und zu verstehen, daß die Lektüre dieser Elternzeitschrift alle in der Headline gestellten, vagen Fragen beantworten wird. Es handelt sich hier um eine moderne interaktive Werbebotschaft mit impliziter Kaufaufforderung.

1953 ist die Mutterrolle gesellschaftlich anerkannt, und das Familienleben wird in Werbetext und -bild thematisiert, wie Werbeszenen auf dem Kinderspielplatz, bei der Babypflege, beim Radiohören im Familienkreis beweisen.

Die Schwarzweißabbildung der Zahnpasta-Werbung zeigt eine Frau - Mutter und/oder Kindergärtnerin - mit 29 Kindern auf einem Kinderspielplatz. Der Text enthält Richtlinien für die gute Kindererziehung:

Immer gut ausgeschlafen, vernünftig gekleidet und ernährt, aber auch frühzeitig gewöhnt an richtige Mund- und Zahnpflege - so müssen Kinder sein, aus denen tüchtige Menschen werden, Menschen, welche in die Welt passen! [...] Blendax Zahnpasta [...] [Bodycopy]
[Stern 1953: 4, 25. Produkt: Blendax Zahnpasta]

Um Babypflege geht es in dieser Werbeanzeige für "Klosterfrau Aktiv-Puder", und die Szene spielt in der häuslichen Idylle, die durch den Werbetext suggeriert wird. Das Bildelement ist auf die Produktabbildung beschränkt. Das Baby als Werbemotiv ist hier nicht genutzt. Zitate von "Reinhold Arndt, Leverkusen, Bebelstraße 75" und "Frau Saddeler, aus Brück, Am Gräfenhof" bürgen für Qualität, aber nicht nur Eltern kommen zu Wort, auch "3000 Hebammen" (Stern 1953: 5, 34. Produkt: Klosterfrau Aktiv-Puder). Zitate sind ein texttypologisches Merkmal älterer Werbeanzeigen, wobei es sich meist um Zitate berühmter Persönlichkeiten handelt. In diesem Fall jedoch wird die potentielle Konsumentin aufgefordert, die Briefe zufriedener Kunden zu lesen.

Die traditionelle Familie und damit die Frau in ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter steht ganz deutlich im Mittelpunkt der Werbeanzeige für Graetz Radios. Diese Werbeanzeige aus dem Jahre 1953 hat mit den Werbetexten 1993 eines gemeinsam: Sie besteht nur aus der Headline.

Wir sind so glücklich...
über unser Graetz Radio [Headline]
[Stern 1953: 5, 23. Produkt: Graetz Radio]

Darunter ist eine glückliche Familie abgebildet, die sich um ein Radiogerät versammelt hat. Die Auflösung traditioneller Familienstrukturen durch hohe Scheidungsrate, große Bevölkerungsmobilität, zunehmende Egozentrik und Bindungsangst des modernen Menschen läßt diese Art der Werbung heute nicht mehr zu.

Die idyllischen Familiendarstellungen in den Catch-Visuals der 50er Jahre erscheinen dem modernen Konsumenten romantisch-verklärt bis kitschig. In den Werbetexten finden sich keine direkten Attribuierungen zu Müttern. Wie aus obigen Beispielen zu ersehen ist, ist die Familie Ende des 20. Jahrhunderts kein Werbethema mehr. Beide modernen Werbeanzeigen sprechen explizit schwangere Frauen an, und der Titel der beworbenen Fachzeitschrift heißt "Mein Kind und ich" und nicht "Unser Kind". Sind zukünftige Väter mitgemeint, oder ist die ledige, alleinerziehende Mutter heute schon die Norm?


3.2.9. Die wohlriechende Frau (Produkte: Deodorant-Stift, Parfüm, Dragées gegen Körper- und Mundgeruch (alle 1953))

Die vier Werbeanzeigen für Deodorant, Parfüm und Dragées stammen aus "Der Stern. Die große Illustrierte" 1953. Im "Stern" von 1993 finden sich keine Anzeigen für diese Produktsparte.

Für die Parfümwerbung der 90er Jahre gilt, was auch für die Werbeanzeigen für dekorative Kosmetik konstatiert wird: Moderne Werbung für Produkte dieser Art ist ohne Worte, weil sie erstens zur Kategorie Reizwerbung gehört, zweitens häufig für den Weltmarkt bestimmt ist, und drittens findet sie sich hauptsächlich in den sogenannten Frauenzeitschriften. Der Markenname und die positive Konnotation, die er mit sich trägt, stehen im Mittelpunkt dieser 'textlosen' Werbung. Image und Imagepflege des Produktes sowie der Benutzer haben Priorität, und die Kaufaufforderung als Oberziel wird nicht explizit durchgeführt.

Werbeanzeigen und -spots für Parfüm und andere Luxusartikel erscheinen in geballter Form vor bestimmten Feiertagen wie Weihnachten, Muttertag und Valentinstag. Die Strategie kann als eine mehrschichtige beschrieben werden: Erstens, wird die Leserschaft an die Existenz des Werbegegenstandes erinnert. Zweitens werden ihr Geschenkideen gegeben, d. h. den Rezipienten wird das Denken abgenommen, und damit ist eine Voraussetzung für mögliche Kaufentscheidungen geschaffen.

Die Frau wird in den ausgewählten Anzeigen in ihrer Rolle als Tanzpartnerin gezeigt:

[...] in der Hitze des Tanzsaales, an heißen Tagen, bei körperlicher Anstrengung. [Bodycopy]
[Stern 1953: 5, 33. Produkt: Khasana-Parfüm-Stab]

Ahnungslos und in freudiger Erwartung führt er sie zum Tanz [...] [Bodycopy]
[Stern 1953: 5, 21. Produkt: Chlorophyll-Dragées Oligo]

Man kommt sich so nahe beim Tanzen.. [Headline]
[Stern 1953: 5, 27. Produkt: Bac-Deo-Stift]

Die Frau in ihrer Rolle als Tanzpartnerin kann als Euphemismus interpretiert werden. Wenn man eine Doppeldeutigkeit in Formulierungen wie "in der Hitze des Tanzsaales", "an heißen Tagen" und "in freudiger Erwartung" sieht, dann kann hier die Frau als Sexualpartnerin gemeint sein. Daß dem reizüberfluteten Leser der 90er Jahre die Doppeldeutigkeit nicht sofort auffällt, liegt daran, daß die Medien heute sexuelle Anspielungen expliziterer Art enthalten.

Nur die Anzeige für den Deodorant-Stift spricht explizit eine breitere Zielgruppe an: die berufstätige, kulturell interessierte und sportliche Frau.

Bac-Deo-Stift in einer reizenden Dose für Ihre Handtasche gibt Ihnen Sicherheit in der Hetze des Berufs, im Film, im Theater, beim Sport. [Bodycopy]
[Stern 1953: 5, 27. Produkt: Bac-Deo-Stift]

Hier wird von der "Hetze des Berufs" gesprochen - das heutige Modewort Streß war damals noch nicht usualisiert. Formulierungen wie der berufliche Streß und Nominalkomposita wie Schulstreß und Alltagsstreß sind in der gesprochenen Gegenwartssprache gebräuchlich.

Immer wieder werden die Verpackungen und Flakons geschildert, da der Duft eines Parfüms oder Deodorants nicht in dem Sinne beschrieben werden kann wie zum Beispiel die Innenausstattung eines Kraftfahrzeugs. Durch raffinierte Verpackungen und schickes Zubehör definiert sich die Frau:

In eleganter Tresor-Packung für jede Handtasche ... DM 3.75 [Bodycopy]
[Stern 1953: 5, 33. Produkt: Khasana-Parfüm-Stab]

Die Wortkreation "Tresor-Packung" beinhaltet die Konnotation wertvoll, da Schmuck, Banknoten und andere Wertgegenstände in Tresoren aufbewahrt werden. Der Khasana-Parfüm-Stab wird damit in der Vorstellung der potentiellen Konsumentin zu einem Wertgegenstand. Die Bindestrichschreibung dient der Hervorhebung und ist typisch für Textsorten, wo es darum geht, "Neugier zu wecken, Aufmerksamkeit zu erheischen, auf Besonderheiten hinzuweisen. [...] Durch die Bindestrichschreibung werden die Wortbestandteile noch stärker isoliert, [...] die Bedeutungen der einzelnen Wortbestandteile beim Lesenden stärker ins Bewußtsein gerufen [...]" (Gabler 1995: 114 ff).

Die Attribuierungen zur Frau, die in der Parfüm- und Deodorantwerbung der 50er Jahre vorherrschend sind, lassen auf eine Obsession mit Körperhygiene schließen, die sich aus dem Mangel an Seife und Parfüm während der Kriegsjahre erklären läßt. Der Bac-Deo-Stift beispielsweise ist neu auf dem deutschen Markt und wird als "die große kosmetische Idee aus USA" gefeiert (Stern 1953: 2, 23). Deodorant- und Parfümwerbung versprechen der Trägerin sich "duftig und körperfrisch", "sauber und sicher" fühlen zu dürfen. Ähnliche Attribuierungen dominieren die Seifenwerbung. Wie bei der Kosmetikwerbung ist auch bei der Deodorant- und Parfümwerbung die Verpackung ebenso wichtig wie der Inhalt. Mit Adjektiven wie reizend und elegant wird die Verpackung und damit indirekt die Besitzerin beschrieben. Es ist das Ziel dieser erfolgreichen Werbestrategie, der potentiellen Konsumentin die Möglichkeit der Identifizierung mit dem Produkt zu ermöglichen, d. h. die Parfümbenutzerin überträgt die für die Produktbeschreibung benutzten Attribuierungen auf sich selber und ihr Leben erhält durch die Produktbenutzung einen Hauch von Eleganz und Luxus.


3.2.10. Die Frau als Partygirl (Produkte: Alkoholische Getränke, Parfüm, Deodorant, Seife (alle 1953))

Zu der Kategorie "Partygirl" gehören alle Werbeanzeigen, die die Frau in Ballkleid bzw. Abendrobe zeigen. Alle vier Anzeigen dieser Kategorie stammen aus dem Jahr 1953, da Feste und Tanzvergnügen nach den harten Kriegsjahren sehr beliebt waren. Im modernen Diskotheken-Zeitalter bewegen sich Individuen ohne Kontakt zueinander zu musikalischen Rhythmen. Gesellige Tanzabende mit traditionellen latein-amerikanischen Tänzen sind unzeitgemäß, und somit hat sich auch das Werbebild gewandelt.

Alkoholische Getränke wie Deinhard Sekt (Stern 1953: 5, 28), MM Sekt (Stern 1953: 3, 29) und Eckes Edelkirsch Weinbrand (Stern 1953: 1, 16) werben vor und während der Karnevalszeit mit dem Bild der eleganten Frau, die sich auf Bällen und Festen amüsiert, für den Alkoholkonsum. Es fällt auf, daß nur das 'schöne Geschlecht' und nicht tanzende Paare abgebildet sind. Alkoholgenuß gehörte zum Luxus der Nachkriegsjahre, nach dem Motto 'Man gönnt sich wieder etwas'. Die einzige Werbeanzeige für Alkohol, die der "Stern" 1993 enthält, zeigt neben der Produktabbildung im Vordergrund eine geheimnisvolle Spanierin im Hintergrund, wobei es unklar ist, wo sich die Freixenet-Genießerin sich befindet. Um Interesse für das Produkt zu erregen, reichen die Konnotationen, die Spanien als Land im Normalverbraucher auslöst: Sonne, temperamentvoll, rassig, geheimnisvoll (Stern 1993: 5, 115. Produkt: Sekt Freixenet).

Werbeanzeigen für Deodorant, Parfüm und Seife bedienen sich ebenfalls des Tanzsaales als 'Werbebühne', und zeigen meist feiernde und tanzende Paare. In allen genannten Werbeanzeigen dieser Kategorie ist das Werbebild der zentrale Textbaustein. Attribuierungen zur Frau finden sich nicht und nur einmal wird die Sektliebhaberin in der 2. Person Singular angesprochen:

Dein Sekt sei Deinhard [Headline, Slogan]
[Stern 1953: 5, 28. Produkt: Deinhard Sekt]

Der Slogan zeigt Reminiszenzen an die Kirchensprache (das Vaterunser), und die Wiederholung des Possessivpronomens im Markenzeichen macht den Slogan zu einem leicht erinnerbaren Spruch. Träume und Wünsche gehen in den 50er Jahren Hand in Hand mit dem Verlangen nach Glück und Lebensfreude. Dies ist nach dem massenhaften Unglück und Leiden der Bevölkerung während des Zweiten Weltkrieges nicht erstaunlich. Das Parfüm Kölnisch Wasser greift die Themen zu Werbezwecken auf:

4711 ist immer dabei
Lebensfreude verbreitend, glückhafte Stunden spendend. [Bodycopy]
[Stern 1953: 1, 17. Produkt: 4711 Kölnisch Wasser]

Im Jahrgang 1993 der Zeitschrift "Stern" gibt es keine Werbung, die Glück und Lebensfreude verspricht und kaum Werbeanzeigen, die geselliges Zusammensein im allgemeinen oder gemeinschaftliche Freizeitaktivitäten zeigen. Häufig ist eine Person abgebildet, die sich im leeren Raum zu befinden scheint. Die Werbung Ende des 20. Jahrhunderts reflektiert die Tendenz des modernen Menschen zum Ungebundensein und Alleinleben und folgt einer Werbestrategie, die besagt, daß ein erfolgreiches Werbebild möglichst schlicht gestaltet sein soll. Eine Personengruppe und ein lebhafter Bildhintergrund wirken demnach verwirrend auf die Anzeigenbetrachter und verhindern die gewünschte Identifikation mit der abgebildeten Person.


3.2.11. Die Frau als Partnerin (Produkte: Personenkraftwagen, Fluglinie, Mobiltelefon (alle 1993))

Wie die genannten Produkte erwarten lassen, handelt es sich hier um eine Kategorie, in der nur moderne Werbeanzeigen einen Platz haben. Die Kategorie "Frau als Partnerin" wird notwendig, da aus den modernen Anzeigen nicht klar hervorgeht, in welcher gesellschaftlichen Rolle die Frauen gezeigt werden. Die drei ausgewählten Werbeanzeigen z. B. bilden Paare in verschiedenen Situationen ab, wobei undeutlich ist, in welcher Verbindung die Partner zueinander stehen. Die Frau kann Geliebte, Lebensgefährtin, Ehefrau, Sekretärin, Kollegin, Geschäftspartnerin usw. sein. Erwartet man sich Aufklärung über die Rolle der Frau durch den Werbetext, dann wird man enttäuscht.

Die Pkw-Werbung beispielsweise wendet sich in der 3. Person Singular an den potentiellen Käufer und verspricht folgendes:

So kommen Sie geschäftlich weiter. Und privat auch. [Bodycopy]
[Stern 1993: 4, 69. Produkt: Chrysler Voyager Pkw]

Der Leser erfährt, daß potentielle Chrysler-Fahrer berufstätig und auch privat erfolgreich sind. Es bleibt offen, ob Frauen mitgemeint sind, d. h. ob es Chrysler-Fahrerinnen gibt (siehe auch Kategorie 3.2.6. "Die berufstätige Frau").

Die deutsche Fluggesellschaft Lufthansa kreiert den Neologismus "Vielflieger" und spricht ihre potentiellen Fluggäste mit "Sie" an. Das Werbebild ist unklar. Begrüßt sie liebevoll den gerade gelandeten männlichen Passagier oder wird sie von ihm begrüßt, gerade dem Flugzeug entstiegen? Der Werbetext hilft auch nicht weiter:

Unser Miles & More Bonus belohnt Sie für Ihre Treue. [Headline]
[Stern 1993: 4, 63. Lufthansa]

Das Stichwort "Treue" ist mehrdeutig und kann als Treue in der Ehe, Treue zum Flugzeug als Verkehrsmittel oder als Treue zur Fluggesellschaft interpretiert werden. Das den britischen Air miles nachempfundene Bonusprogramm wird nicht ins Deutsche übersetzt, sondern "Miles & More" genannt, obwohl in Deutschland Entfernungen in Kilometer und nicht Meilen gemessen werden. "Miles & More" hat einen Neuigkeitseffekt, klingt durch die Alliteration interessant und ist leicht merkbar.

In der Werbung für das "Mobilfunk-Netz D2 privat" werden im Text die 'Abenteuer des Werbehelden' erzählt - die Frau ist reine 'Dekoration' an seiner Seite und 'versüßt' ihm die Mittagspause.

Es war wieder einmal keine freie Telefonzelle zu finden, und so tauchte er eigentlich rein zufällig bei D2 privat auf [...] Das Handy, ein Mobiltelefon, so klein und leicht, daß es problemlos in jeder Jackentasche Platz findet. [...] Und da er jetzt überall zu erreichen ist, kann er auch ruhig mal "Kurzurlaub" machen. Als wir ihn neulich anriefen, genoß er gerade seine Mittagspause auf einer Kirmes. Ein schlechtes Gewissen hatte er bei diesem Ausflug nicht, denn jetzt kann auch er sagen: "D2 privat - It's my line." [Bodycopy]
[Stern 1993: 4, 104-105. Produkt: D 2 privat]

Werbetexte dieser Art bilden hervorragendes Untersuchungsmaterial für zukünftige Forschungsprojekte, die sich mit dem Bild des Mannes in der Werbung beschäftigen. Typisch für moderne Werbeanzeigen ist die Vorliebe für Anglizismen bei der Produktbenennung und in den Logo-Slogans. Teilweise kommt es dabei auch zu falschen bzw. Pseudoanglizismen, wie das Beispiel aus der "D2 privat" - Werbung beweist (Stern 1993: 4, 104-105). Aus dem englischen Adjektiv handy wird im Deutschen ein Nomen: "Das Handy, ein Mobiltelefon [...]". Das Nomen Handy hat sich mittlerweile in der deutschen Gegenwartssprache als Bezeichnung für alle Mobiltelefone durchgesetzt (siehe Artikel "Vollkommen überhandydelt", Stern 1995: 28, 106-107 und "Elektro-Smog. Gef ährliches Handy", Stern 1995: 35, 141-142). Handy erinnert auch an die familiäre Abkürzung hanky für handkerchief, das Taschentuch aus Stoff, weshalb zu erwarten ist, daß der Neologismus leichter einprägsam ist.

Vor 40 Jahren waren Werbeanzeigen informativ und explizit. Eine Frau sitzt an der Schreibmaschine und im Text ist vom Beruf die Rede (Stern 1953: 1, 23. Produkt: Nivea -Hautcreme. Siehe auch Kategorie 3.2.6. "Die berufstätige Frau"). Hier ist nichts interpretationsbedürftig: Die Werbung zeigt eine berufstätige Frau, eine Sekretärin. Der moderne Werbestil hingegen zeichnet sich dadurch aus, daß weder Text noch Bild explizit sind - alles ist offen für Interpretation. Damit stellt sich die Frage: Ist Werbung Kunst? Die Gestaltung der Textbausteine fordert die BetrachterInnen heraus, die dargestellten Szenen und Figuren zu deuten. Werbeanzeigen als Bildrätsel gehen noch einen Schritt weiter: Durch irreale oder surreale Bildelemente sowie das Fehlen von Produktabbildung und informativem Text kann die Konsumentin/der Konsument das beworbene Produkt nur dechiffrieren, falls sie oder er Logo, Logo-Slogan, Marken-Emblem oder die Farbsymbolik des Herstellers kennt. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Zigarettenwerbung der Marke "Silk Cut", deren britische Werbekampagnen reine Bildrätsel sind, in denen nur die Farbe violett und das Symbol der zerschnittenen Seide als Grafikbausteine konstant sind.


Continue...


Return to Page 1 of this article | The Issue 1 contents page | The WJMLL Home Page