3.2.12. Die bildungshungrige Frau (Mentalsystem, Fernakademie für Erwachsenenbildung GmbH, Institut für Lernsysteme GmbH (alle 1993))
Alle drei Werbeanzeigen dieser Kategorie sind aus dem "Stern"-Jahrgang 1993. Vor 40 Jahren war der Platz der Frau an der Seite des Mannes, in der Küche oder mit den Kindern und für Weiterbildung und Selbstverwirklichung hatte 'frau' keine Zeit und vielleicht auch keinen Bedarf.
Heute will und muß man sich weiterbilden, Zusatzqualifikationen sind für berufsorientierte Frauen und Männer wichtig. Fernakademien werben um neue "Fernschüler" und sprechen Männer und Frauen im Insert an:
Sehr geehrte Stern-Leserin und -Leser [Insert]
[Stern 1993: 2, 95. Fernakademie für Erwachsenenbildung GmbH]
Im weiteren Textverlauf des relativ langen Inserts heißt es dann:
[...] jeder bildungswillige Leser [...] Tausende Fernschüler [Insert]
[Stern 1993: 2, 95. Fernakademie für Erwachsenenbildung GmbH]
Dürfen Frauen sich angesprochen fühlen? Sind Frauen mitgemeint? Unter den angebotenen Abschlüssen werden neben maskulinen Berufsbezeichnungen wie
Gepr. Kredit- und Finanzierungsfachmann [...] Maschinenbau-Techniker [...] Industriemeister Metall [Bodycopy]
[Stern 1993: 2, 95. Fernakademie für Erwachsenenbildung GmbH]
auch korrekt beide Geschlechter angesprochen:
Programmierer/in
Bilanzbuchhalter/in
Bürosachbearbeiter/in
Fremdsprachenkorrespondent/in Englisch
Verkaufsleiter/in
Gepr. Anlage- und Vermögensberater/in
Chemo-Techniker/in [Bodycopy]
[Stern 1993: 2, 95. Fernakademie für Erwachsenenbildung GmbH]
Nur bei einem Abschluß sind Männer explizit ausgeschlossen und hierbei handelt es sich um einen traditionellen Frauenberuf:
Geprüfte Sekretärin IHK [Bodycopy]
[Stern 1993: 2, 95. Fernakademie für Erwachsenenbildung GmbH]
In elf Fällen liegt vager Sprachgebrauch vor, weil geschlechtsneutral verwendeter maskuliner Singular und Plural fragwürdige und im Rahmen verschiedener Textsorten frauenfeindliche Formen sind, da unklar ist, ob Frauen mitgemeint sind. Den Werbetextern stehen die Suffixformen auf -in bzw. -innen (Techniker/innen) bzw. in einem Fall die eindeutig geschlechtsneutrale Form Fachkraft zur Verfügung. Hier kann ihnen vorgeworfen werden, mit androzentrischem (Männer bevorzugendem) Sprachgebrauch Frauen von Fortbildungsmöglichkeiten auszuschließen.
Die Analyse der Werbeanzeige des Instituts für Lernsysteme GmbH kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: vager Sprachgebrauch in acht Fällen, da geschlechtsneutrale Formen (Techniker/in) nicht benutzt werden.
Programmierer [...] Betriebswirt, Staatl. gepr. Techniker [...] Industriemeister [...] Anlage-/Vermögensberater [...] Wohn-/Umweltberater [...] [Bodycopy]
[Stern 1993: 4, 144. Institut für Lernsysteme GmbH]
Korrekter Sprachgebrauch in zwei Fällen:
Bilanzbuchhalter/in IHK [...] Werkschutzfachkraft IHK [Bodycopy]
[Stern 1993: 4, 144. Institut für Lernsysteme GmbH]
BrainLight wirbt 1993 mit der Abbildung einer Frau beim Mentaltraining für ein Gerät, ein Mentalsystem. Die Schwarzweißfotografie zeigt ein Frauengesicht mit Augenmaske.
Fit für den Alltag [Headline]
Das brainLight Mentalsystem ist eine der effektivsten Methoden für Entspannung und Mentaltraining. [...] Der Hauptvorteil des brainLight Mentalsystems ist, daß Sie das System in fünf verschiedenen Anwendungsbereichen einsetzen können:
Entspannung
Mentaltraining
Sprachenlernen
"See the music"
Verkaufstraining, Motivations- und Persönlichkeitstraining [Bodycopy]
[Stern 1993: 3, 116. Produkt: brainLight Mentalsystem]
Im Werbetext werden die potentiellen Konsumenten mit dem höflichen "Sie" angesprochen. Die Komposita "Mentalsystem" und "Mentaltraining" können in die Gruppe der Pseudofachtermini eingeordnet werden. Die gehäufte Verwendung von englischen Wendungen, Anglizismen und Pseudoanglizismen läßt vermuten, daß englischsprechende, technikinteressierte Menschen sowie gebildete, streßgeplagte Karrieremenschen als Zielgruppe angesprochen werden.
Von den ausgewählten Beispielanzeigen werben zwei für Dienstleistungen, nämlich Fernstudiengänge. Bei beiden Werbetexten liegt androzentrischer Sprachgebrauch vor, da männliche und weibliche Berufsbezeichnungen bzw. eindeutig geschlechtsneutrale Formen zur Verfügung stehen, aber nicht benutzt werden. Seit der europäischen Gleichbehandlungsrichtlinie von 1976, existieren von Ministerien auf Bundes- und Landesebene Verordnungen, die in staatlichen Berufslisten und Stellenangeboten vorschreiben, außer der männlichen, bisher als geschlechtsneutral geltenden Form auch die weibliche Form der Berufsbezeichnung zu verwenden. Wie die Anzeigenbeispiele beweisen, können Regelungen dieser Art für den öffentlichen Sprachgebrauch nicht autoritär durchgesetzt werden.
3.2.13. Die hygienisch reine Frau (Produkte: Seifen (alle 1953))
Das Werbeaufkommen für Seife in den 50er Jahren läßt - wie bereits weiter oben festgestellt - auf eine Obsession mit Hygiene schließen. Heute findet sich Seifenreklame selten und wenn, dann stehen wissenschaftliche Neuerungen im Mittelpunkt, wie zum Beispiel die pH-neutrale Seife oder Flüssigseife. In vielen modernen Haushalten haben Duschgels, Badezusätze sowie kombinierte Körper-Haarshampoos das Seifenstück ersetzt. Die Werbestrategie der sechs ausgewählten Werbeanzeigen ist identisch mit der Werbestrategie der Kosmetikwerbung der 50er Jahre: Den Konsumentinnen wird die Produktanwendung im Detail erläutert.
Massieren Sie den reichen, besonders milden, weißen Schaum sanft in die Haut, spülen Sie ihn zuerst mit warmem, danach mit kaltem Wasser ab; das erfrischt und belebt die Haut und hinterläßt kein Spannen. [Bodycopy]
[Stern 1953: 4, 35. Produkt: Palmolive-Seife]
Die Abbildungen der berühmten Filmschauspielerinnen bieten der potentiellen Konsumentin die Möglichkeit der Identifikation mit den Hollywood-Filmstars. Sie geben ihr das Gefühl, durch den Kauf des Produktes selber etwas Luxus erwerben zu können. Die in den Werbetexten zitierten Worte der Filmstars übertragen auf das Produkt alle Werte, die der Filmstar verkörpert: Schönheit, Glamour, Sex-Appeal.
"Für meine Haut - Luxor Toiletteseife!" [Headline]
Nicht nur im Film, auch auf der Bühne und im privaten Leben ist Carola Höhn eine bezaubernde Frau, deren Schönheit immer wieder ihr Publikum überzeugt. [...] Dieses Schönheitsrezept sollten auch Sie einmal probieren. [Bodycopy]
Die reine, weiße Schönheitsseife der Filmstars. [Deranger]
9 von 10 Hollywood-Filmstars benutzen Luxor Toiletteseife [Slogan]
[Stern 1953: 1, 19. Produkt: Luxor Seife]
Im Blickpunkt des Erfolges
Hannelore Schroth [Headline]
Filmstars sprechen aus Erfahrung, wenn sie Ihnen Luxor empfehlen. Hannelore Schroth sagt Ihnen: "Luxor pflegt den Teint - belebt die Haut." Hannelore Schroth [...] [Bodycopy]
[Stern 1953: 3, 32. Produkt: Luxor Seife]
Durch die französischen ("Teint") und englischen Lehnwörtern fühlt sich die Leserin von der Aura des Bildungs- und Weltbürgertums umgeben. Bei den Komposita Schönheitsseife und Toiletteseife darf eine Wort-für-Wort-Übersetzung aus dem Englischen beauty soap und toilet soap angenommen werden.
Die Schlüsselwörter der Seifenwerbung wie Natürlichkeit und Reinheit sind auf das Produkt bezogen, doch sie beschreiben indirekt auch die Produktverwenderin:
[...] aus reinen Palme- und Olivenölen [Bodycopy]
Das natureigene Chlorophyll des Olivenöls in jedem Stück [...] [Insert]
[Stern 1953: 4, 35. Produkt: Palmolive Seife][...] nur reinste und natürliche Rohstoffe [...]
Die vollkommene Reinheit der Seife erkennen Sie schon an dem reinen, weißen Aussehen und dem ebenso weißen, sahnig-milden Schaum. [Bodycopy]
[Stern 1953: 5, 36. Produkt: Luxor Seife]
Auch 1953 wurde versucht, Seife nicht nur als Mittel der Körperreinigung, sondern als Schönheitsmittel, als etwas Besonderes zu verkaufen und die Werbesprache reflektiert dies. Das freie Morphem Seife wird kombiniert mit dem Markennamen, erscheint als Kompositum bzw. in der Kombination Markenname plus Nominalkompositum. Durch den Markennamen wird dem Produkt ein individueller Gefühlswert beigefügt, den die Konsumentin dann auf die Ware projiziert.
In beiden Werbeanzeigen für "8x4"-Seife werden Frauen nicht explizit angesprochen. Einmal genügt das geschlechtsneutrale man, aber die Schwarzweißzeichnung zeigt den Rücken einer Frau beim Bad.
Man badet heute bewußter... [Headline]
[...] Mit anhaltender Frische steigt man gewappnet in den Alltag. "8x4-sicher" tritt man auf. Kurz - man wird sich selbst wieder sympathisch. [Bodycopy]
[Stern 1953: 4, 33. Produkt: 8x4-Seife]
In der zweiten Werbeanzeige werden explizit er und sie angesprochen. Offen sexistisch wird ihm Selbstsicherheit zuerkannt, sie wird als rein und gut duftend beschrieben - sozusagen das 'wohlriechende' Geschlecht.
Auch nach durchtanzter Nacht... [Headline]
"Sie" empfindet seine selbstsichere Sauberkeit - "er" ihren bezaubernd reinen Duft - beide aber ihr Fluidum der Frische. [Bodycopy]
[Stern 1953: 2, 27. Produkt: 8x4-Seife]
Die Anführungszeichen deuten an, daß mit "sie" und "er" jedermann bzw. 'jedefrau' gemeint ist und sich angesprochen fühlen darf. Die Headline und das Catch-Visual - eine Schwarzweißfotografie zweier tanzender Paare - stehen in enger semiotischer Beziehung zueinander und bilden durch den engen Text-Bild-Bezug einen Rahmen.
Die Seifenwerbung der 50er Jahre zeigt Frauen als das 'wohlriechende' und 'reine' Geschlecht. Die vorherrschenden Attribuierungen sind identisch mit den Attribuierungen der Deodorant-, Parfüm- und Kosmetikwerbung der Epoche: rein, zart, natürlich sind Adjektive aus dem Grundwortschatz, die sowohl die Haut der potentiellen Konsumentin als auch das Produkt beschreiben. In modernen Werbeanzeigen erwartet man kreative Schöpfungen wie kuschelzart und megarein. Die Verben pflegen, erfrischen und beleben beschreiben die Seifenbenutzung und den gewünschten Effekt auf der Haut, das Verb waschen findet sich in keiner Werbeanzeige, woraus sich schließen läßt, daß es in der Werbebranche als Tabuwort gesehen wird.
3.2.14. Die aktive Frau ( Produkte: Mineralwasser, Personenkraftwagen (alle 1993))
Gesundheit und aktiver Lebensstil sind Themen moderner Werbekampagnen für Mineralwasser und Autos. Alle Werbeanzeigen zu diesen Themen stammen aus dem "Stern" 1993. 1953 verfügte der Durchschnittsbürger über weniger Freizeit als in den 90er Jahren, die Freizeitindustrie im heutigen Sinne existierte nicht, und der aktive Lebensstil war folglich kein Werbethema.
Die kurze Bodycopy der Werbeanzeige für Heppinger Mineralwasser (Stern 1993: 2, 2) wird begleitet von einer Schwarzweißfotografie, die ein junges Paar bei einem Tischfußballspiel an einem unerwarteten Ort - an einem Strand - zeigt. Das irreale, überraschende Element ist in modernen Werbeanzeigen nicht selten, da die Neugier-Wirkung und der Überraschungseffekt notwendig sind, um die Aufmerksamkeit des medienüberfluteten Lesers zu erregen.
Im Werbetext für den neuen "Nissan Micra" wird von "Menschen" und "großgewachsenen Menschen" gesprochen. Der Logo-Slogan lautet: "Wer Autos baut, muß Menschen kennen". Später im Text heißt es:
Bringen Sie Ihre Familie oder Ihr Team doch mal mit zu einer Probefahrt, und überzeugen Sie sich auch von den anderen Qualitäten des neuen Micra [...] [Bodycopy]
[Stern 1993: 4, 95-97. Produkt: Nissan Micra Personenkraftwagen]
Mit "Familie" oder "Team" können Männer bzw. Väter ebenso wie Frauen bzw. Mütter gemeint sein. Das großformatige Farbfoto ist des Rätsels Lösung: Vier Handballspielerinnen stehen neben dem Auto, ein kleiner Junge, eventuell der Sohn einer der Sportlerinnen, bittet um ein Autogramm. Hier wird die Frau in ihrer Rolle als aktive Handballspielerin gezeigt. Ob sie auch Mutter ist, bleibt der Interpretation der Anzeigenbetrachterin/des Anzeigenbetrachters überlassen.
Frauen werden 1993 in den Catch-Visuals als aktive, gesunde Menschen der modernen Erlebnisgesellschaft gezeigt. In den Werbetexten finden sich keine Attribuierungen zur Frau, die dieses Bild sprachlich untermauern. 1953 waren Frauen berufstätig, sie waren Mütter und Hausfrauen und in diesem Sinne aktiv. Freizeitkonsum, wie er heute existiert, ist nur realisierbar in einer Wohlstandsgesellschaft wie der Bundesrepublik, die in den letzten 50 Jahren weder von Krieg noch von Katastrophen gebeutelt wurde.
3.2.15. Die emanzipierte Frau (Produkte: Telefon, Damenmode, Pkw (alle 1993))
Die fünf modernen Werbeanzeigen, in denen die Frau als emanzipiert dargestellt wird, kreisen um das Thema der finanziell unabhängigen Frau, die selbständig Entscheidungen trifft - ganz im Gegensatz zur sparsamen Hausfrau der 50er Jahre!
Die neuen Grundig Telefone lassen Ihnen die freie Wahl. [...] [Bodycopy]
[Stern 1993: 2, 55. Produkt: Grundig Telefon. Siehe auch Kategorie 3.2.7. "Die schlanke Frau"]
Die Entscheidung. [Headline]
Mode für Frauen, die selbst entscheiden. [Logo-Slogan]
[Stern 1993: 2, 116-117. Produkt: Damenmode JOSEPh JANARD]
In einer anderen Werbeanzeige für Damenmode wird die emanzipierte Frau nur im Bild gezeigt. Die Anzeige besteht aus einer Schwarzweißfotografie der Frau, flankiert vom Logo "Comma," (Stern 1993: 5, 19). Auffallend in beiden Werbeanzeigen für Damenmode ist der modern-spielerische Umgang mit Orthographie und Interpunktion. Die Schreibweise des Markenzeichens "JOSEPh JANARD" hat Neugier-Wirkung und wird dadurch - so hoffen die Werbestrategen - beachtet und erinnert. Das Markenzeichen "Comma," steht kontextlos in der Anzeige und wird gefolgt vom Satzzeichen Komma. Auch hier ist durch das abweichende Schriftbild der Effekt des Neuen, Ungewöhnlichen erzielt, und die potentielle Kundin wird sich an das ungewöhnliche Markenzeichen erinnern, da sie mit dem Markenzeichen immer das Interpunktionszeichen visualisieren wird. Diese Strategie ist in der Werbung nicht neu, ein gutes Beispiel ist das Symbol des Apfels für den Computerhersteller Apple Macintosh. Die anglisierte Schreibweise des Markenzeichens ("Comma" statt Komma) suggeriert der modeinteressierten Frau, daß diese Marke international bekannt und anerkannt ist. Das Bildelement unterstützt die Annahme, indem es eine junge Frau an einem amerikanischen Imbißstand zeigt.
Die Mehrzahl der Werbeanzeigen für Personenkraftwagen betrachtet heute noch Männer als ihre Hauptkunden. Werden Frauen abgebildet, dann meist auf dem Beifahrersitz oder als 'Dekoration' neben dem Auto stehend (siehe dazu auch Heller 1993:124 ff). Dies ist auch der Fall in der Anzeige für die Mazda Limousine Xedos 6. Eine Frau mit Kurzhaarfrisur (die meisten 'Werbefrauen' haben langes Haar) steht an die Beifahrertür gelehnt und wartet auf ihn, den Partner, den Mechaniker, den Autoverkäufer, kurz - den Mann schlechthin, der herbeieilt. Im Werbetext werden Frauen weder direkt angesprochen noch als potentielle Käuferinnen erwähnt. Das gewählte Werbethema ist hochaktuell, und die Headline ist dem Liedtitel "Neue Männer braucht das Land" der deutschen Popsängerin Ina Deter nachempfunden.
Mehr Ruhe braucht das Land. [Headline]
Ökologie ist das Thema unseres ausgehenden Jahrhunderts. [...] Der Xedos 6 berücksichtigt aber noch einen weiteren Aspekt: Ruhe - für die Insassen und die Umwelt. [Bodycopy]
[Stern 1993: 2, 60-61. Produkt: Mazda Xedos 6 Personenkraftwagen]
Die einzige moderne Werbeanzeige, die eine Frau am Steuer zeigt, wirbt für den Kleinwagen Nissan Micra (Stern 1993: 2, 67-74). Die Anzeige ist als Faltblatt konzipiert, erstreckt sich über acht Seiten und zeigt die Fahrerin in drei unterschiedlichen Verkehrssituationen. Die Bodycopy ist lang und informativ. Wie werbewirksam lange Texte dieser Art sind, bleibt zu untersuchen. Es ist anzunehmen, daß nur die ZeitschriftenleserInnen, die sich bereits für den Kauf eines Kleinwagens entschieden haben, Zeit in die Werbetext-Lektüre investieren werden. Die potentiellen KäuferInnen werden in der Bodycopy nicht erwähnt, nur gegen Anzeigenende höflich aufgefordert, den abgedruckten Coupon auszufüllen.
3.2.16. Die romantische Frau (Produkte: Blumen (1953 und 1993), Urlaubsland Großbritannien (1993))
Die Frau als Romantikerin steht im Mittelpunkt einer modernen Werbeanzeige für Großbritannien als Urlaubsland. Zwei Werbeanzeigen für Blumen bzw. den internationalen Blumendienst Fleurop bedienen sich 1953 sowie 40 Jahre später des Stereotyps von der romantischen Frau, die man mit einem Blumenstrauß beglücken kann.
Wo 1993 ein strahlendes Männergesicht mit Blumenstrauß in der Hand dem potentiellen Kunden freundschaftlich-vertraulich zuruft "Zeig' ihr Deine Blumenseite!" (Stern 1993: 2, 111) ist die Aufforderung 1953 ähnlich: "Sag' es mit Blumen durch Fleurop" (Stern 1953: 5, 29). Die vertrauliche Form entstammt dem Register der gesprochenen Sprache. Die Imperativform der 2. Person Singular ohne fakultatives 'e' gilt als dialektal-alltagssprachlich im Vergleich zu den Formen mit 'e' (Zeige und Sage), die eher als standardsprachlich-gehoben gelten. Das Bildelement 1953 kann als sexistisch interpretiert werden: Die Schwarzweißzeichnung zeigt ihn als berufstätigen Menschen mit Mantel, Hut und Aktentasche auf dem Weg in das Blumengeschäft. Sie ist Hausfrau und steht mit dem gerade gelieferten Blumenstrauß in der Hand an der noch geöffneten Haustür. Dem Werbebild zufolge sind Frauen, 1953 insbesondere Ehefrauen und Hausfrauen, als Blumen-Empfänger gemeint. Die Zielgruppe der Anzeigenkampagnen können Männer und Frauen sein.
Um die deutsche Leserschaft für Großbritannien als Urlaubsland zu begeistern, greifen die Werbetexter auf bekannte Märchenelemente zurück und erzählen das 'Werbemärchen' von Prinz und Prinzessin. Es ist anzunehmen, daß die Texter durch die internationale Bekanntheit und Beliebtheit der britischen Prinzessin Diana inspiriert wurden. Die Frau in dieser Werbebotschaft erscheint als romantische Träumerin, kindlich und verliebt. Die Tatsache, daß es um eine Urlaubsreise in ein nicht-deutschsprachiges Land geht, läßt darauf schließen, daß die moderne Frau als weltoffen und reisefreudig gesehen wird. Die Länge der Bodycopy ist ungewöhnlich für den modernen Werbestil, der Werbedialog trivial. Die 'Werbeszene' ist mit der Alltagsrealität des Normalverbrauchers nicht vergleichbar, sondern wurde kreiert, um beim Rezipienten unbewußte Wünsche und Sehnsüchte zu aktivieren.
In ihrer Kindheit war sie mit Alice im Wunderland, in diesem Urlaub mit Jens. [Headline]
Ihr Herz hüpfte vor Freude wie ein Kaninchen. Es war wie die Erfüllung der drei Wünsche durch eine gute Fee: drei Wochen mit dem Wagen quer durch Südengland. Sie waren wunschlos glücklich. [...] Und warum sehen die Ein-Pfund-Münzen eigentlich aus wie Weihnachtsdukaten aus Karamel? Wie Sterntaler, flüsterte Jens ihr ins Ohr. Als sie auf ihrer Heimreise mit der Fähre im feinen Restaurant ein traumhaftes Dinner genossen, wußten beide, daß das Märchen vom Wunderland nächstes Jahr wieder wahr werden würde. Sagenhaft. [Bodycopy]
Britain is great. [Slogan]
[Stern 1993: 4, 70-71. Britische Zentrale für Fremdenverkehr]
Obwohl in der Blumenwerbung 1953 sowie 1993 von "liebe Menschen" bzw. "der Mensch" gesprochen wird, geht aus den Catch-Visuals hervor, daß Frauen gemeint sind. Bei dem Bild der Frau als Blumenliebhaberin handelt es sich um eine Verallgemeinerung, die 40 Jahre erfolgreich überlebt hat. Die Britische Zentrale für Tourismus vertraut auf die Werbewirkung des Textes, der explizite Märchenelemente enthält und damit zum Verweilen und Träumen einlädt. Es wird erwartet, daß LeserInnen diese Märchenelemente mit ihrer Kindheit assoziieren und alle mit der Kindheit verbundenen Werte, Wünsche und Träume auf den zukünftigen Urlaub im "Wunderland" projizieren.